Halle/ Saale

Logical Emotion – Zeitgenössische Kunst aus Japan

Yayoi Kusama: Love is Calling, 2013, © Yayoi Kusama. Fotoquelle: Kunstmuseum Moritzburg
Mehr als Manga-Comics und Elektronik-Gadgets: Eine Überblicks-Schau in der Moritzburg führt vor, wie vielfältig japanische Gegenwartskunst ist – mit neonfarbenen Tropfsteinhöhlen, Installationen aus Seife oder Skulpturen in Gips, die wie eingefroren wirken.

Auch Gefühle folgen einer Logik; das behauptet zumindest der Titel der Japan-Schau im Kunstmuseum Moritzburg. Mit 84 Werken von 13 Künstlern ist sie laut Veranstalter „eine der bisher umfangreichsten Ausstellungen zeitgenössischer japanischer Kunst in Deutschland“, was bezeichnend für das gegenwärtige Verhältnis beider Nationen ist.

 

Info

 

Logical Emotion - Zeitgenössische Kunst aus Japan

 

23.05.2015 - 26.07.2015

täglich außer mittwochs

10 bis 18 Uhr

im Kunstmuseum Moritzburg, Friedemann-Bach-Platz 5, Halle/ Saale

 

Weitere Informationen

 

Ab Mitte des 19. Jahrhunderts waren sie fast 100 Jahre lang enge Verbündete. Beide einte ihre Aufholjagd gegenüber den Kolonialmächten; der wechselseitige Austausch war intensiv und fruchtbar. Heute herrschen auf beiden Seiten Desinteresse und Entfremdung, auch auf kulturellem Gebiet. Von manga-Comics und anime-Produktionen abgesehen, kommen kaum noch japanische Filme, Bücher oder Kunstwerke nach Deutschland.

 

150 Jahre Diplomatie Tokio + Bern

 

Grund genug also, genauer hinzusehen, wenn sich die Gelegenheit bietet. Warum in Halle an der Saale? Die Ausstellung entstand in Zusammenarbeit mit Museen in Krakau und Zürich; damit feiern die Schweiz und Japan den 150. Jahrestag der Aufnahme ihrer diplomatischen Beziehungen. Zudem lehrt an der Universität Halle-Wittenberg eine renommierte Japanologin, die seit 2010 Ehrenpräsidentin der Deutsch-Japanischen Gesellschaft ist. Sie dürfte sich für die Station in Sachsen-Anhalt stark gemacht haben; es ist die einzige in Deutschland.

Impressionen der Ausstellung; © koenau


 

Jenseits von Farbholzschnitten + Kalligraphie

 

Die Schau versammelt Beispiele aus allen gängigen Disziplinen: Malerei, Fotografie, Installationen und Videos. Dazu wählte Kenjiro Hosaka, Kurator am Nationalmuseum für moderne Kunst in Tokio, 13 Künstler, Architekten und Designer aus; ihre Arbeiten sollen sowohl jüngste Entwicklungen der japanischen Kunst aufzeigen als auch internationale Trends reflektieren.

 

Gemeinhin verbindet man hierzulande japanische Kunst mit bestimmten Merkmalen: der kargen Ästhetik von Architektur und Design, aufwändig hergestellter Keramik, Farbholzschnitten in kühnen Perspektiven oder virtuoser Tuschemalerei und Kalligraphie aus wenigen Pinselschwüngen. Bei Gegenwartskunst denkt man am ehesten an verspielte Elektronik-Konstruktionen oder bunte, vor Fantasie überbordende manga-Comics, die auch in Deutschland ihre Fangemeinde haben.

 

Natürliche + künstliche Werkstoffe kombinieren

 

Damit hat „Logical Emotion“ nichts zu tun: Hier geht es um die logische und zugleich emotionale Zusammenfügung verschiedener Materialien in einem Kunstwerk. In den 1960/70er kam in Japan die „Mono-ha“-Bewegung auf: „Mono“ meint „Material“, „ha“ bedeutet „Schule“. Ihre Anhänger kombinierten natürliche Werkstoffe wie Stein und Holz mit Eisen, Papier, Schnur oder Gummi.

 

Einer ihrer führenden Vertreter war der 1995 gestorbene Koji Enokura, von dem drei Werke zu sehen sind. In dieser Tradition steht auch Teppei Kaneuji, der ganz unterschiedliche Materialien verwendet. Dazu nutzt er Fundstücke, die er zu Skulpturen zusammenfügt und mit Gips übergießt: Nun sehen sie aus, als wären sie gefroren und von einer Eisschicht überzogen. Dagegen bleibt in seiner Videoarbeit alles im Fluss: auf Papier gezeichnete Gegenstände werden ständig verschoben.

 

Perfektionistische manga-Collage

 

Derart spielerisch kann Masayasu Mitsuke nicht vorgehen; er ist ein Meister der so genannten kutani-Keramikmalerei. Normalerweise werden dafür traditionelle Motive wie Fische und Landschaften verwendet. Mitsukes Arbeiten sind jedoch völlig abstrakt; ihre geometrischen Muster zeugen von perfektem Handwerk.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung Goldene Impressionen: Japanische Malerei 1400 – 1900 im Museum für Ostasiatische Kunst, Köln

 

und hier einen Bericht über die hervorragende "Hokusai-Retrospektive" - mit Farbholzschnitt-Meisterwerken im Martin-Gropius-Bau, Berlin

 

und hier eine Besprechung des Films “Wie der Wind sich hebt” – grandioser Animations-Historienfilm über das deutsch-japanische Verhältnis von Hayao Miyazaki

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung Ferne Gefährten - über 150 Jahre deutsch-japanische Beziehungen in den Reiss-Engelhorn-Museen, Mannheim.

 

Mit Pinsel und Stift arbeitet auch der manga-Zeichner Yuichi Yokoyama. In klaren Linien erzählt er eher statische Geschichten jenseits des hektischen Alltags. Yokoyama ist Perfektionist; missfällt ihm ein Bild, schneidet er es aus und fügt an seiner Stelle eine bessere Version ein. So wird fast jedes Blatt zur Collage, wie Seiten aus seiner graphic novel „World Map Room“ („Weltkarten-Raum“) von 2013 zeigen.

 

Spendenaufruf für benutzte Seifen

 

Einen starken Kontrast zu Yokoyamas reduziertem Zeichenstil bildet die Installation „Love is calling“ von Yayoi Kusama. Die Künstlerin füllt einen verspiegelten Raum mit neonfarbenen Plastik-Objekten, die mit schwarzen Punkten übersät sind. Von innen beleuchtet, hängen die Skulpturen von der Decke oder sind auf dem Boden installiert; dieser in sich geschlossene Kosmos erinnert an eine künstliche Tropfsteinhöhle.

 

Den Geruchssinn spricht dagegen Noe Aoki an: Sie hat eine duftende Installation aus Seifen kreiert, die sie mit Stahlstäben zu kleinen Türmchen angeordnet hat. Alle Seifen wurden bereits benutzt und ihr kostenlos zugeschickt, nachdem die Künstlerin zu Spenden aufgerufen hatte; hier stimmt die Chemie.

 

Strohhalm-Formel im Chemie-Dreieck

 

An eine chemische Formel erinnert auch die Installation aus 6.000 roten Strohhalmen, die der Architekt Akihisa Hirata eigens für die Ausstellungs-Station in Halle geschaffen. Das passt zur Stadt: Ihr Umland ist seit Mitte der 1930er Jahre von der Chemie-Industrie geprägt, vor allem im so genannten Chemie-Dreieck zwischen Buna, Leuna und Böhlen bei Leipzig. Eine auch in Japan wichtige Branche; zumindest als high tech-Industriestandorte, die weltweit exportieren, sind sich beide Nationen noch nahe.