Álvaro Brechner

Señor Kaplan

Spionieren für Anfänger: Jacob Kaplan (Hector Noguera) und Wilson Contreras (Nestor Guzzini) versuchen der Tochter des angeblichen Nazis (Leonor Svarcas) Belastendes zu entlocken. Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 16.7.) Nazi-Jagd als Rentner-Hobby: Mit einem spektakulären Fang will ein Jude in Uruguay sein Leben krönen. Warmherzige Best-Ager-Komödie von Regisseur Álvaro Brechner, die trotz netter Gags an ihrer arg vorhersehbaren Handlung krankt.

Als Kind musste Jakub Kaplan aus dem von den Nazis besetzten Polen nach Übersee fliehen; als einziger seiner jüdischen Familie überlebte er. Danach hat er sich in Uruguays Hauptstadt Montevideo eine bürgerliche Existenz samt schöner Wohnung, Ehefrau und zwei Söhnen aufgebaut.

 

Info

 

Señor Kaplan

 

Regie: Alvaro Brechner,

98 Min., Uruguay/ Spanien;

mit: Héctor Noguera, Néstor Guzzini, Rolf Becker

 

Website zum Film

 

Doch das “besondere Leben” mit bedeutenden Taten, das ihm der Rabbi bei seiner Bar-Mizwa-Feier vorhersagte, hat Jakub nicht geführt; zumindest aus seiner Sicht. Langsam wird es Zeit, denn er ist mittlerweile über 70 Jahre alt. Um ihm sein Ungenügen vor Augen zu führen, hält das Leben neben gewöhnlichen Zipperlein noch ein paar besondere Kränkungen für ihn bereit.

 

Am Katzentisch + ohne Führerschein

 

So hat die jüdische Gemeinde bei einem Fest das Ehepaar Kaplan erst auf der Gästeliste vergessen und dann am Katzentisch platziert. Später bringt sich Jacobo, wie er sich hier nennt, durch vorlautes Auftreten selbst in eine peinliche Lage. Als er nach einem Autounfall den Führerschein abgeben muss, ist das Maß voll.

Offizieller Filmtrailer


 

Nazi-Tochter arbeitet als Domina

 

Er will seinem Gott vor dem Ableben also noch eine echte Großtat bieten: am besten einen alten Nazi aufstöbern und nach Israel ausliefern, wie es einst Simon Wiesenthal mit Adolf Eichmann tat. Da kommt der Hinweis seiner Enkelin auf einen alten Deutschen mit dem Spitznamen “Nazi”, der in den Stranddünen ein Café betreibt, gerade recht. Bald nimmt Jacobo mit Fernglas und dem versoffenen Ex-Polizisten Wilson als Begleiter die Beobachtung des verdächtigen Subjekts auf.

 

Dieser Deutsche namens Julius Reich ist nicht nur wegen seiner Herkunft verdächtig; er tischt in seinem Restaurant auch Tiefkühlfisch auf. Zudem findet das Duo heraus, dass seine Tochter als Domina arbeitet. Von ihr werden die beiden selbsternannten Privatdetektive nach extrem tölpeligem Auftreten schnell vor die Tür gesetzt. Auch andernorts stellen sich die beiden kaum geschickter an.

 

Nilpferd-Betäubungsflinte aus dem Zoo

 

Jede Niederlage macht Jacobo nur noch entschlossener. In Sachen Nazi-Jagd fängt auch der von seiner Frau sitzen gelassene Wilson allmählich Feuer. Er reaktiviert alte Kontakte in die korrupte Polizei, um mehr über Reich herauszufinden, und ins Zoowärter-Milieu: So beschafft er für die geplante Entführung des Unholds eine Nilpferd-Betäubungsflinte.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Pepe Mujica – Der Präsident" - Doku über Uruguays Präsident von Heidi Specogna

 

und hier einen Beitrag über den Film “¡No!” – packendes Polit-Drama über die Absetzung von Diktator Pinochet in Chile von Pablo Larrain

 

und hier einen Bericht über den Film “Cheyenne – This Must Be The Place”  von Paolo Sorrentino mit Sean Penn + David Byrne über Nazi-Jagd in den USA.

 

Der uruguayische Regisseur Álvaro Brechner knüpft mit seinem zweiten Spielfilm an die eigene Familiengeschichte an: Seine Großeltern mussten ebenfalls aus Europa fliehen. Doch in “Señor Kaplan”geht es auch um Alter und Verfall generell: Wie lässt sich kurz vor dem Tod dem Leben noch ein Sinn abringen? Was tun, wenn Körper und Geist nicht mehr wollen wie gewünscht? Und wie mit Schuld am Leid Anderer umgehen? Solche Fragen setzt Brechner mit melancholischem Humor und Genre-Anspielungen von Detektivfilm bis Western in Szene.

 

Plot mit angezogener Handbremse

 

Dabei ist der Film glänzend besetzt: Hauptdarsteller Héctor Noguera, in Chile ein Theaterstar, überzeugt als tragikomischer Held mit Hang zu störrischer Selbstgerechtigkeit. Dem gibt sein junger sidekick Néstor Guzzini als Wilson prollige Erdung, die durch familiäre Konflikte sentimental unterfüttert wird. Nur Rolf Becker als gejagter Deutscher hat bis auf eine – allerdings entscheidende – Szene nicht viel zu tun. Dass dieser dramatische Höhepunkt leider missglückt ist, liegt aber nicht an ihm, sondern am allzu schlicht gestrickten Drehbuch.

 

Trotz einer starken Inszenierung enttäuscht der plot. Nach viel versprechender und facettenreicher Eröffnung tuckert die Handlung wie mit angezogener Handbremse vor sich hin; bei vorhersehbar schmalspurigem Ablauf bietet sie wenig Überraschungen. Dennoch war die warmherzige arthouse-Komödie in Uruguay ein großer Erfolg; sie wurde sogar für den Auslands-Oscar nominiert.