
„Die photographische Arbeit ist die andere Hälfte meines Lebens“, sagt Filmregisseur Wim Wenders von sich. Dieser anderen Lebenshälfte widmet das Museum Kunstpalast aus Anlass seines 70. Geburtstags eine große Werkschau. Warum in Düsseldorf? Weil Wenders hier 1945 zur Welt kam, bevor er als Kind mit seiner Familie nach Oberhausen umzog und dort aufwuchs.
Info
4 REAL & TRUE 2 - Wim Wenders. Landschaften. Photographien
18.04.2015 - 16.08.2015
täglich außer montags
11 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 21 Uhr
im Museum Kunstpalast, Ehrenhof 4-5, Düsseldorf
Katalog 29,80 €
Auf dem ausgestorbenen Planeten
Die Retrospektive in Düsseldorf ist eine Art Best of: rund 80 Aufnahmen seit den 1970er Jahren, von kleinen Schwarzweiß-Abzügen bis zu Riesenformaten aus jüngster Zeit. Was sie verbindet, ist die Leere: Von seltenen und kleinen Staffage-Figuren abgesehen, sind alle Bilder menschenleer. Die Welt des Wim Wenders ist ein unbewohnter Planet; genauer: ein ausgestorbener Planet.
Impressionen der Ausstellung
Wie schön wäre Wien ohne Wiener!
Früher waren hier wohl Leute, die Häuser errichteten und Straßen bevölkerten. Doch sie sind verschwunden; vom geschäftigen Treiben blieben nur Geisterstadt-Kulissen wie auf einem verlassenen Film-set. Fassaden mit blinden Fenstern und nutzlosen Aufschriften, verrostete Autos auf Parkplätzen und Schrotthalden, brach liegende Felder und verwaiste Friedhöfe. Auf diesen Bildern sieht die Erde aus wie nach dem Fall der Neutronen-Bombe.
Was ihre Schönheit nicht mindert: Meist leuchtet sie in prächtigen Farben. Wenders fotografiert vorzugsweise am frühen Morgen oder bei Sonnenuntergang, wenn warmes Licht alle Farbtöne satt strahlen lässt. Er wendet gleichsam Georg Kreislers Refrain „Wie schön wäre Wien ohne Wiener!“ auf sämtliche Weltgegenden an: Sie sind in lebloser Herrlichkeit vereint.
Nahtod-Erfahrung durch Haschisch-Kekse
Fans seiner Filme werden deren Stimmung und Bildsprache auf vielen Aufnahmen wieder finden: etwa den wüstenhaften Süden der USA von „Paris, Texas“, die bonbonbunten Häuser von La Havanna aus „Buena Vista Social Club“ oder die schäbigen Interieurs in „The Million Dollar Hotel“, die wie abgefilmte Gemälde von Edward Hopper aussehen – Hopper ist ein Lieblingsmaler des Regisseurs.
Zwar wirken diese Bilder oft stilisiert und künstlich, doch ihr Urheber beharrt darauf, nur Vorgefundenes zu dokumentieren: „Das gibt es also!“ Nie benutze er Stativ oder künstliches Licht, niemals bearbeite er die Aufnahmen. In seinem Katalog-Beitrag wettert er gegen Digital-Fotografie mit ihrer beliebig manipulierbaren Bilderflut, die nicht nur das Abbild der Wirklichkeit entwerte, sondern diese selbst. Wenders leidet unter Angst vor Realitätsverlust: Als Student hatte er nach einer Überdosis Haschisch-Kekse eine Nahtod-Erfahrung.
Heiliger Akt des Photographierens
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films “Every Thing Will Be Fine” – Schuld-und-Sühne-Drama mit James Franco von Wim Wenders
und eine Besprechung von “Kathedralen der Kultur” – Episoden-Film über Kultur-Tempel von Wim Wenders und fünf weiteren Regisseuren
und hier einen Bericht über den Dokumentarfilm “Das Salz der Erde” – fabelhaftes Porträt des Fotografen Sebastião Salgado von Wim Wenders
und hier einen Beitrag über den Film "Shirley – Visionen der Realität" über den "Maler Edward Hopper in 13 Bildern" von Gustav Deutsch.
Stattdessen zelebrierte er später seine Verehrung für die Schöpfung in ziemlich statischen Filmen, die im Lauf der Zeit immer opulenter und bedeutungsschwangerer wurden. Wie seine Fotografien: Seit 15 Jahren verwendet er eine Panoramakamera, die ihm enorm breite oder hohe Aufnahmen ermöglicht – gleichsam in Cinemascope. Gedruckt als meterlange C-Prints, wirkt alles überwältigend bedeutsam; auch wenn es nur ein belangloses Flussufer ist.
Wie Jahreskalender-Naturmotive
Anders als Fotografen wie Andreas Gursky oder Thomas Struth, die auf ihren Extremformaten eine Fülle nie zuvor gesehener Details versammeln, geht es Wenders vor allem um weihevolle Stimmungen: beim Sonnenaufgang am See Genezareth oder auf einem Pfad zum biblischen Emmaus in der Abenddämmerung. Dort schwelgt er in delikaten Valeurs des erhabenen Nichts, so malerisch wie die Naturmotive auf Jahreskalendern. Aber wandfüllend – als Foto-Tapeten des Neuen Deutschen Films