Muss dieser Text wirklich sein? Heute ist doch so schönes Wetter: heiter bis wolkig, weder zu kühl noch drückend heiß. Viel angenehmer wäre, sich im Park die Sonne auf den Bauchnabel scheinen zu lassen, Eis zu schlecken und träge in einer Zeitschrift zu blättern (die Kunstkritikerin gähnt und rekelt sich wohlig). Aber die Abgabe wird fällig; na gut, wenn es unbedingt sein muss!
Info
Auszeit - Vom Faulenzen und Nichtstun
29.04.2015 - 30.08.2015
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
dienstags bis 20 Uhr
im Sprengel Museum, Kurt-Schwitters-Platz, Hannover
Katalog 10 €
Meditative Stille statt Überschwang
Die Präsentation in drei großen Sälen im Untergeschoss fällt allerdings arg nüchtern aus: Schnurgerade sind die Bilder an weißen Wänden aufgereiht. Vom ausgelassenen Überschwang der Ferien- und Freizeit ist nichts zu spüren, von Besucherandrang auch nicht. Eher herrscht meditative Stille, was zu den Arbeiten passt: Die meisten zeigen Ruhende, Liegende und Schlummernde in allen denkbaren Positionen.
Paradox des bemerkenswerten Nichtstuns
Das sind eine Menge: Erstaunlich, wie viele Varianten Künstler diesem einfachen Motiv abgewinnen können. Neben Kranken und Arbeitslosen, die zur Untätigkeit verdammt sind, finden sich vor allem Schlafende. Aus diversen Perspektiven: In Seitenansicht oder Draufsicht, elegant ausgestreckt oder lasziv hingegossen, schutzbedürftig eingerollt oder einfach nur bewegungslos.
Sie im Bild festzuhalten, enthält ein Paradox: Da geschieht nichts außer dem, was alle Menschen täglich machen – nichts zu tun. Um es dennoch bemerkenswert erscheinen zu lassen, greifen Künstler zu diversen Strategien. Der Maler Lovis Corinth und der Bildhauer Herbert Garbe nehmen schlafende Frauen oder Paare als Anlass für attraktive Akte.
Badetage als Sujet-Reservoir
Wilhelm Lehmbruck und Käthe Kollwitz zeigen Kauernde als Sinnbilder für den Jammer in der Welt. Picasso demonstriert an Doppelfiguren die conditio humana und lässt mit Faunen erotische Spannung aufkommen. Und Henri Laurens oder Rudolf Jahns reduzieren Silhouetten auf wenige geschwungene Linien – so abstrakt und transzendental wie der Schlafzustand selbst.
Doch Faulenzen ist keineswegs nur Nichtstun; das würde rasch langweilig. Die Arbeitsgesellschaft hat zur Entspannung und Erholung die Freizeit erfunden, mit Unterhaltung und Hobbys für jeden Geschmack. Ein allseits beliebter Zeitvertreib sind Badetage. Sie bieten Künstlern ein fast unerschöpfliches Reservoir an Sujets: das Defilee von Körpern in allen möglichen und unmöglichen Verrenkungen.
Sich an Strand-Menschen kaum satt sehen können
Solche Kombinationen reizt Max Beckmann kühn aus: Seine Radierung „Frauenbad“ (1922) zeigt ein unglaubliches Getümmel von ineinander verschlungenen Leibern, die trotzdem quietschvergnügt bleiben. Vier Jahre zuvor hatte er ein halbes Dutzend „Gähnende“ so geschickt arrangiert, dass die aufgerissenen Münder und gebleckten Zähne harmonisch wirken.
Die 1910er bis 1930er Jahre waren ohnehin die große Zeit der Bade-Kunst. Lebensreformer und Wandervögel entdeckten den Körper neu, Sport wurde Massenbeschäftigung und -spektakel. Die Künstler konnten sich an spärlich bekleideten Menschen am Strand kaum satt sehen. Expressionisten wie Ernst Ludwig Kirchner und Post-Fauvisten wie Hans Purrmann zeichneten Badeszenen en gros; neusachliche Fotografen wie Umbo oder Walter Ballhause hielten das wilde Treiben auf Sand und im Wasser fest.
Weder Rumhängen noch Fitness-Kult
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Wir gehen Baden!" - eine Sommer-Ausstellung von Dürer bis Hockney im Kupferstichkabinett, Berlin
und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Reiselust und Sinnesfreude” mit Werken von Lovis Corinth in Apolda und Aschaffenburg
und hier eine Besprechung der Ausstellung “Dix/Beckmann: Mythos Welt” mit Werken von Max Beckmann in der Hypo-Kunsthalle, München.
Von der Lebensform des hanging around bei Hippies und Punks als Widerstand gegen Leistungszwang, oder umgekehrt von dessen Übersteigerung im heutigen Fitness-Kult ist nichts zu sehen. Da hatte in der letzten Saison die ähnlich angelegte Schau „Wir gehen Baden!“ im Berliner Kupferstichkabinett mehr zu bieten.
Jetzt raus ins Grüne!
Mag sein, dass es an Schwerpunkten und Leerstellen der hauseigenen Sammlung liegt, aus denen sich diese „Auszeit“ speist – wir wollen der Kuratorin nicht unterstellen, dass sie den Untertitel ihrer Ausstellung allzu sehr beherzigt hat. Denn jede Aufgabe muss ein Ende finden; auch diese Besprechung. Und jetzt raus ins Grüne!