Mark Dornford-May

Lilien im Winter – La Bohème am Kap

Lungelo (Mhlekazi Mosiea) pflegt Mimi (Busisiwe Ngejane), die an Tuberkulose stirbt. Foto: Arsenal Filmverleih
(Kinostart: 27.8.) Ergreifende Liebestragik in den Townships von Kapstadt: "U-Carmen"-Regisseur Mark Dornford-May verlegt einen weiteren Opern-Klassiker ins heutige Südafrika. Allerdings gebietet diesmal Puccinis Libretto eher statische Innerlichkeit.

Crossover at its best: Mit „U-Carmen Ekhayelitsha“ gewann Mark Dornford-May bei der Berlinale 2005 völlig überraschend den Goldenen Bären. Der britische Theater- und Opernregisseur hatte den Klassiker von Georges Bizet in die südafrikanische Gegenwart verlegt. In die Sprache der Xhosa übersetzt und mitreißend interpretiert, wirkte das Eifersuchtsdrama wie für dieses setting gemacht – Kritiker lobten es als die beste Carmen-Inszenierung seit langem.

 

Info

 

Lilien im Winter -
La Bohème am Kap

 

Regie: Mark Dornford-May,

90 Min., Südafrika 2014;

mit: Busisiwe Ngejane, Mhlekazi Mosiea, Pauline Malefane, Sifiso Lupuzi

 

Weitere Informationen

 

An jenen Erfolg will Dornford-May nun anknüpfen: mit einer südafrikanischen Version von „La Bohème“. Auf dem Notenpapier bietet sich Giacomo Puccinis Melodram dazu an: Die tragische Liebe zwischen dem Poeten Rodolfo und der schwindsüchtigen Näherin Mimi ist so populär wie zeitlos. Und der Schauplatz passt: Ihre Armut, weswegen Mimi sich weder Ärzte noch Medikamente leisten kann, betrifft Millionen von Menschen in Südafrika. Dort gilt Tuberkulose mit rund 25.000 Opfern jährlich laut WHO als eine der häufigsten Todesursachen.

 

Mansarde wird zur Studenten-Bude

 

Abermals wird auf Xhosa gesungen: vom gut eingespielten Isango-Ensemble mit herausragenden Solisten. Außer Mimi hat Regisseur Dornford-May alle Figuren umbenannt. Aus dem Pariser Künstler-Milieu um 1830 verpflanzt er die Handlung unter Studenten im heutigen Kapstadt; die kalte Mansarde des ersten Opern-Bildes wird zur Bude im Wohnheim, wo Lungelo/ Rodolfo (Mhlekazi Mosiea) mit seinen Freunden haust.

Offizieller Filmtrailer


 

Tempo verliert sich im zweiten Teil

 

Als sie nach Feuer für ihr Kerze fragt, lernt er Mimi (Busisiwe Ngejane) kennen; als sie im Dunkeln nach ihrem Schlüssel suchen, kommen sich beide näher. Das Weihnachtsfest im Quartier Latin des zweiten Bildes mutiert zur ausgelassenen Freiluft-Party, auf der sich Zoleka/ Musetta (Pauline Malefane) mit ihrem Geliebten Mandisi/ Marcello (Sifiso Lupuzi) versöhnt; der Maler ist Lungelos Mitbewohner und bester Freund.

 

Bis dahin ist die Inszenierung temporeich und voller Charme – doch dann wendet sich das Blatt. Was am Libretto liegt: Im dritten und vierten Bild geht es vor allem um Mimis Krankheit und Lungelos Ohnmacht, ihr nicht helfen zu können; bis sie schließlich ihrem Leiden erliegt. Das sind elegische Szenen mit ergreifenden Arien, die zu den schönsten der Operngeschichte zählen. Bloß: Vor der Kamera tut sich nicht mehr viel; fragt sich, ob „La Bohème“ sich wirklich für die Leinwand eignet.

 

Hagere Gestalten statt praller Rundungen

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Les Miserables” – opulente Musical-Verfilmung von Tom Hooper nach dem Roman von Victor Hugo

 

und hier einen Bericht über den Film "Zulu" – fesselnder Medizin-Politthriller aus Südafrika von Jérôme Salle mit Forest Whitaker

 

und hier einen Beitrag über die hervorragende Ausstellung “Esprit Montmartre" zur "Bohème in Paris um 1900” in der Schirn, Frankfurt am Main.

 

In „U-Carmen“ war Dornford-May ein perfektes Amalgam aus Bizets Oper und dem Alltagsleben in südafrikanischen townships gelungen. Als durchweg überzeugende Aktualisierung; da flog nach dem ersten Flirt der Zigeunerin mit Don José schon mal ein Kondom durch die Luft. Oder Josés Streit mit seinem Nebenbuhler Escamillo mischte eine ganze Tanz-Bar auf.

 

Solche überschäumende Spielfreude mit fulminanten Chor-Auftritten geht dem Nachfolger-Film bald verloren; seine zweite Hälfte voller romantischer Innerlichkeit spielt vorwiegend in intimen Innenräumen. Und das wohlgenährte Carmen-Ensemble hat milieubedingt hageren Gestalten Platz gemacht.

 

Kino für Melomanen

 

Was den Musikgenuss nicht mindert: Die Sopranistin Busisiwe Ngejane als Mimi besingt ihre Leidenschaft voller Hingabe, ihr Tenor-Partner Mhlekazi Mosiea antwortet mit facettenreich kraftvoller Stimme. Wobei ihnen Pauline Malefane, die bereits als Carmen brillierte, fast die Schau stiehlt: Ihre Zoleka begeistert mit umwerfender Präsenz und sinnlich warmem Sopran.

 

So ist diese „La Bohème“-Version eher für Melomanen als für Cineasten attraktiv, sofern sie statisches Geschehen wie auf der Opernbühne nicht stört. Am Ende haucht Mimi ihr Leben auf einem schäbigen Sperrmüll-Sessel unter einer Straßenbrücke im Slum aus. Dieses eindrucksvolle Schlussbild kommt dem sozialkritischen Geist des Originals sehr nahe.