Khosrow ist ein unscheinbarer Handlanger, von denen unzählige die Metropolen von Schwellenländern bevölkern: Er lungert in Jeans und Sportjacke herum und wartet auf den nächsten Auftrag. Anweisungen befolgt er, ohne nach dem Warum zu fragen, denn sein chronisch kranker Sohn bereitet ihm genug Sorgen: Dass seine Frau ständig Geld für Medikamente und Ärzte verlangt, raubt ihm den Schlaf.
Info
Manuscripts don't burn
Regie: Mohammad Rasoulof,
124 Min., Iran 2013;
mit: Darsteller nicht benannt
Alles zum Wohle der Staatssicherheit
Ihr Vorgesetzter Hadj Saïd ist die Selbstgewissheit in Person. Ob er Druckfahnen einer Zeitung zensiert, über Poesie diskutiert oder ein Opfer verhört: Stets lässt er keinen Zweifel daran, dass er das Wohl der Staatssicherheit verkörpert. Früher zählte Saïd zur Opposition, dann wechselte er die Seiten und machte Karriere. Sein Bart ist perfekt gestutzt, seine Mimik beherrscht, er spricht stets leise und bewegt sich gemessen – ein Mensch, der mit sich völlig im Reinen ist.
Offizieller Filmtrailer OmU
Memoiren-Manuskript als Pfand für Ausreise
Dagegen wirkt die Gegenseite demoralisiert. Der Schriftsteller Forouzandeh sitzt im Rollstuhl, sieht dem Tod entgegen und will zuvor noch sein letztes Buch veröffentlichen – nicht im Internet, sondern auf Papier. Sein Freund Kian verspricht ihm, einen Drucker zu suchen, der trotz Zensur und Überwachung dazu bereit ist, hält das aber eigentlich für überflüssig: Die Jugend lese nur noch Facebook und Twitter. Kian schreibt depressive Gedichte mit Titeln wie „Vom ereignislosen Leben eines gefeuerten Lehrers“.
Beide bewahren zuhause je eine Kopie von den Memoiren des krebskranken Kasra auf: Darin schildert er, wie vor etlichen Jahren 21 Intellektuelle per Bus zu einem Kongress nach Armenien reisten. Der Fahrer war ein Geheimdienst-Agent; er sollte den Bus in eine Schlucht stürzen lassen, was ihm misslang. Nun setzt Kasra sein Manuskript als Pfand ein, um seinem alten Bekannten Hadj Saïd eine Ausreisegenehmigung abzuhandeln. Doch um der Staatssicherheit willen darf die alte Affäre unter keinen Umständen publik werden.
80 „Kettenmorde“ in den 1990er Jahren
Sein Film zeigt laut Regisseur Mohammad Rasoulof „eine weitgehend wahrheitsgetreue Fiktion“ – so realistisch, dass Schauspieler und Filmteam zu ihrem Schutz ungenannt bleiben. Ende der 1990er Jahre wurden im Iran rund 80 systemkritische Intellektuelle umgebracht; diese so genannten „Kettenmorde“ blieben unaufgeklärt. Der plot ist jedoch in der Gegenwart angesiedelt: als schonungslose Bestandsaufnahme eines reibungslos funktionierenden Unterdrückungs-Apparats wie als Schwanengesang auf die aussterbende Intelligenzija.
Rasoulof weiß, wovon er spricht: Er und sein Regie-Kollege Jafar Panahi wurden 2010 verhaftet, als sie eine Doku über Proteste gegen die manipulierten Präsidentschaftswahlen 2009 drehten, und zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt. Beide mussten die Haft bislang nicht antreten, stehen aber unter Hausarrest bzw. Berufsverbot – dennoch arbeiten sie heimlich weiter. Während Panahi mit „Taxi Teheran“, wofür er im Februar den Goldenen Bären erhielt, einen verschmitzt vieldeutigen Blick auf heutige Zustände im Iran wirft, übt Rasoulof vernichtende Kritik.
Killer als gestresste Staatsangestellte
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Taxi Teheran" - Berlinale Gewinner 2015 von Jafar Panahi
und hier einen Bericht über den Film “Jahreszeit des Nashorns” – brilliantes Polit-Psychodrama über Exil-Iraner in der Türkei von Bahman Ghobadi
und hier das Interview “Filme im Gefängnis machen” mit Regisseur Mohammad Rasoulof über seinen Film “Good Bye“, eine Auswanderungs-Parabel in Teheran.
Das Trio jagt Dissidenten, die ohnehin praktisch erledigt sind: Von zerrütteter Gesundheit geplagt und rund um die Uhr observiert, ist ihr Spielraum gleich Null. Noch hält sich der kleine Zirkel die Treue; man reicht sich gegenseitig Manuskripte weiter, doch das Ende ist absehbar. Die Alternative lautet: Tod durch eigene Hand oder auf Geheiß der Staatsmacht. Und das Schlimmste ist: Niemand liest mehr ihre Texte – außer deren Schergen.
Keine Petrodollars ohne Filmsichtung
„Manuscripts don’t burn“ atmet den Geist totaler Resignation: Keine Hoffnung, nirgends. Ob daraus Schwarzmalerei spricht oder intellektuelle Redlichkeit, die nichts beschönigt – wer mag das von außen beurteilen? Jedenfalls verabreicht Rasoulof ein Antidot gegen grassierende Gesundbeterei des Mullah-Regimes, die nach Abschluss des Atom-Abkommens mit dem Iran im Juli auf dessen Petrodollars spekuliert: Bevor Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel wieder nach Teheran jettet, um Großaufträge einzufädeln, sollte er sich diesen Film ansehen.