
Sterben müssen wir alle – aber keinesfalls von eigener oder fremder Hand. So lautet ein eherner Grundsatz des abendländischen Kulturkreises, der in Deutschland aus bekannten Gründen weiterhin uneingeschränkt gilt. Obwohl ihn Überalterung und Apparate-Medizin allmählich aushöhlen und ad absurdum führen, ist hierzulande die Debatte über Sterbehilfe hoffnungslos festgefahren: Hippokrates-Eid gegen das Recht auf Freitod.
Info
Am Ende ein Fest
Regie: Sharon Maymon + Tal Granit
93 Min., Israel/ Deutschland 2014;
mit: Ze'ev Revach, Levana Finkelstein, Aliza Rosen
Alt, aber zurechnungsfähig
Indem er seinem Personal einiges zutraut: Es ist betagt und körperlich mehr oder weniger hinfällig, aber absolut zurechnungsfähig. Yehezkel (Ze’ev Revach), der mit seiner Frau Levana (Levana Finkelstein) im Seniorenwohnsitz lebt, ist ein leidenschaftlicher Bastler und Tüftler. Als sein Freund Max unheilbar erkrankt, will er ihm helfen, aus dem Leben zu scheiden, was dessen Frau Yana (Aliza Rosen) schweren Herzens befürwortet.
Offizieller Filmtrailer
Fremde schüren Gewissenskonflikte
Das nötige Betäubungsmittel beschafft der Mitbewohner Dr. Daniel (Ilan Dar). Damit alles legal abläuft, konstruiert Yehezkel eine raffinierte Maschine – Selbsttötung auf Knopfdruck. Doch Israel ist ein kleines Land, und die geniale Erfindung spricht sich rasch herum: Im Nu tauchen fremde Altersgenossen auf, die ebenfalls darum bitten.
Was den Freundeskreis in Gewissenskonflikte stürzt: Kann man es verantworten, Unbekannte ins Jenseits zu befördern? Diese Frage spitzt sich für Yehezkel zu, als bei Levana die Alzheimer-Symptome immer stärker werden: Darf und soll er den Tod seiner geliebten Frau herbeiführen?
Metaphysischen Ballast ignorieren
Man sieht: Die Regisseure Sharon Maymon und Tal Granit drücken sich um den existentiellen Ernst des Sujets nicht herum. Es geht nicht um abstrakte Erwägungen zu aktiver und passiver Sterbehilfe, sondern ganz konkret um das körperliche Leid der Moribunden und das seelische ihrer Angehörigen. In diesem Film wird mehrmals realistisch gestorben und getrauert – ohne dass sich Trübsal einstellt. Im Gegenteil: Diese Alten, allesamt in Israel bekannte Komiker, bringen sich und ihr Publikum ständig zum Lachen.
Weil das Regisseur-Duo den ganzen metaphysischen Ballast, der mit Tod und Jenseits verbunden ist, souverän ignoriert. Gott kommt zwar öfter vor; aber nur als Hilfsinstanz, die für höchst irdische Zwecke herbeizitiert wird. Diese Charaktere sind in einem radikal existentialistischen Sinn mit sich und ihrem hinfälligen Leib allein – und deshalb fürsorglich füreinander da. Mitgefühl ist wichtiger als Regel-Befolgung; Menschenwürde zeigt sich in Selbstbestimmung.
Im Hort des sterilen Grauens
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Liebe – Amour" – ergreifendes Drama über das Lebensende eines alten Ehepaars von Michael Haneke, Goldene Palme 2012
und hier einen Bericht über den Film “Und wenn wir alle zusammenziehen?” von Stéphane Robelin über eine Rentner-WG mit Jane Fonda + Daniel Brühl
und hier einen Beitrag über den Film “Die Reise des Personalmanagers” – israelische Tragikomödie über Leichen-Überführung von Eran Riklis.
Sie erwartet ein Hort des sterilen Grauens: Alles weiß und clean, kein Laut ist zu hören. Die Insassen starren aus den Fenstern und wirken völlig sediert. Yehezkel spricht eine Frau im Rollstuhl an, redet auf sie ein – keine Reaktion. Bis er seine Zigaretten hervorkramt, die Dame sich umdreht und ihn anherrscht: „Hier darf man nicht rauchen“. Kein Wunder, dass beide diesen freudlosen Ort fluchtartig verlassen.
„Honig im Kopf“ auf Nahost
Wer keine kleinen Freuden mehr kennt, ist schon so gut wie tot; und wer davor die Augen verschließt, kann sein Leben kaum genießen. Das wirksamste Mittel gegen die Angst vor dem Tod ist, sich über ihn zu amüsieren. Jede Filmnation nach ihrem Geschmack: die deutsche mit der Sentimentalität von „Honig im Kopf“, die israelische mit dem liebevollen Galgenhumor von „Am Ende ein Fest“.