
Kunstwelt der Tiere + Pflanzen
Solcher Kinderkram verbreitet Rummel-Stimmung wie drei Tischtennis-Platten vom stets um Mitmach-Aktionen bemühten Rirkrit Tiravanija: Pingpong-Spielen erwünscht (neugerriemschneider/ Martin Janda, Wien). Ergiebiger sind Beiträge, die beim Betrachter etwas Weltwissen voraussetzen. Die saudische Galerie Athr, zum dritten Mal dabei, hat ein Bildergewitter-Video von Sarah Abu Abdullah mitgebracht: Alltags-Schnappschüsse aus Arabien, so gewöhnlich wie fremdartig – und dauernd blitzen Pässe, Visa, Einreiseformulare auf.
Neben mehr oder weniger erhellender Zeitdiagnostik erscheint als zweiter Schwerpunkt dieser Messe die Rückkehr zur Natur: So viele Fauna- und Flora-Ansichten bot noch keine abc. Meist sind sie technikkritisch gefiltert und verfremdet, wie die Mutanten-Haustiere in messie-Wohnungen von Ryan Trecartin (Sprüth Magers).
Erstes Photoshop-Foto von 1988
Oder bemalte Gips-Bäume mit Augen, Händen und USB-Anschlüssen von Veit Laurent Kurz (Johan Berggren, Malmö). Oder das Postkarten-Motiv „Jennifer in Paradise“ von 1988: Mithilfe von Lentikulardruck, den man von Wackelbildern kennt, erstellt Constant Dullaart bewegte Varianten des angeblich ersten Fotos, das je mit Photoshop manipuliert wurde. Auch Digitaltechnologie ist mittlerweile reif für ihre kulturhistorische Aufarbeitung (Future Gallery).
Ähnlich moderat und traditionsbewusst präsentiert sich die „Positions Berlin Art Fair“. Die Kunstmesse fürs gutbürgerliche Publikum gastiert diesmal in der weitläufigen Konzerthalle „Arena Berlin“: Obwohl die Zahl der Aussteller um die Hälfte auf 78 gewachsen ist, können sich alle frei entfalten. Die klaustrophobische Atmosphäre vergangener Jahre ist verflogen.
Neue Medien und Digitalkunst sind aus der Mode
Auch das Angebot wirkt homogener. Extravagante Effekthascherei, mit der in den Vorjahren etliche Teilnehmer im schrägen Berlin um Aufmerksamkeit buhlten, findet sich nur noch selten. Ausnahmen wie eine hüfthohe Draht-Fliege von Algis Kasparavičius aus Litauen (Meno Niša Gallery, Vilnius) oder ein Pudel aus roten Glasstiften von Marta Klonowska (lorch+seidel contemporary) bestätigen die juste milieu-Regel.
Neue Medien und Computer-Kunst kommen offenbar aus der Mode. Die chinesische „Island6“-Gruppe, die 2013 mit LED-Displays hinter Reispapier eine halbe Koje füllte, ist nur noch mit einer Arbeit vertreten (burster). Wilde Experimente mit allen möglichen Werkstoffen sind gleichfalls fast verschwunden.
Fetting-Gemälde für 70.000 Euro verkauft
Da erscheinen die konventionell figurativen Bilder, die Heike Jeschonnek in Wachs ausführt, beinahe exotisch (Tammen & Partner). Echte Exotik bietet Thomas Hirschmann: Er kombiniert Zeitgenössisches von Robert Mapplethorpe oder Tom Wesselmann mit antiker tribal art aus Afrika und Ozeanien (4.800 – 12.000 Euro) – als einziger Galerist, der über den Tellerrand westlicher Gegenwarts-Kunst hinausblickt.
Hintergrund
Link zur Website der "Berlin Art Week 2015"
Lesen Sie hier eine Rezension der "Berlin Art Week 2014" - abc art berlin contemporary + Positions Berlin Art Fair in Berlin
und hier einen Bericht über die “Berlin Art Week 2013″ – abc art berlin contemporary + Preview Berlin Art Fair in Berlin
und hier einen Beitrag über die "Berlin Art Week 2012" – abc art berlin contemporary + Preview Berlin Art Fair in Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Afrikanische Stelen im Kontext zeitgenössischer Kunst" in der Galerie Hirschmann, Berlin.
Wetterberichte auf 365 Teebeuteln
Für weitaus geringere Summen sind deutlich originellere Arbeiten erhältlich. Etwa die leuchtenden Farbschlachten des Rumänen Nicolae Comănescu – ihn fasziniert das still gestellte Spektakel von Autos im Stau der abendlichen rush hour (Petra Nostheide-Eÿcke, Düsseldorf). Oder die delikaten Kompositionen aus monochromen Porträts und filigranen Liniengeflechten des Japaners Asushi Koyama (Frantic Gallery, Tokyo).
Wer political correctness zum kleinen Preis sucht, wird bei Mianki fündig. Die Flüchtlingskrise hat Katharina Schnitzler zur Serie „1000 Afrikaner“ inspiriert: hingehuschte Blumen-Skizzen im Kleinformat für 550 bis 1400 Euro. Ähnlich viel Stoff für wenig Geld liefert Claudia Kallscheuer: „12 Monate“ lang bestickte sie täglich leere Teebeutel mit dem Wetterbericht oder anderen Geistesblitzen. Da kommen alle Trends der diesjährigen Saison zusammen: solides Handwerk, recycling, Naturnähe und Botschaften zur Weltlage in Länge und Substanz einer SMS.