
Mehr als fünfzig Jahre nach dem ersten Auschwitz-Prozess (1963-1965) in Frankfurt/ Main wird der Mann, der die juristische Verfolgung von NS-Verbrechen wesentlich vorangetrieben hat, endlich angemessen gewürdigt: mit mehreren neuen Biografien und einer – nicht unumstrittenen – Wanderausstellung des 1995 gegründeten und nach ihm benannten Forschungsinstituts; sie wurde bislang in Frankfurt, Erfurt, Heidelberg und Tübingen gezeigt.
Info
Der Staat gegen Fritz Bauer
Regie: Lars Kraume,
105 Min., Deutschland 2015;
mit: Burkhart Klaußner, Ronald Zehrfeld, Sebastian Blomberg
Eichmann-Jagd als Landesverrat
Der Film fokussiert auf die mittleren Wirkensjahre des kämpferischen Gerechtigkeits-Fanatikers: 1957 bekam er einen Hinweis, dass sich der von ihm gesuchte Ex-SS-Obersturmbannführer Adolf Eichmann in Argentinien aufhielt. Da Bauer dem von Alt-Nazis infiltrierten BND misstraute, informierte er den israelischen Geheimdienst Mossad über Eichmanns Wohnort. Was starke Nerven erforderte: Als Beamter beging Bauer damit Landesverrat. 1960 entführten Mossad-Agenten Eichmann nach Israel.
Offizieller Filmtrailer
Astern für den Staatsanwalt
Dieses biopic ist eine Zeitreise in die frühe Bundesrepublik, deren Staatsapparat offiziell entnazifiziert, de facto aber noch von ehemaligen NS-Chargen und deren Gleichgesinnten durchsetzt war. Sie versuchten, Bauer mit falschen Fährten zu verwirren oder mit Drohbriefen einzuschüchtern. Andererseits gab es Leute wie den hessischen SPD-Ministerpräsidenten Georg-August Zinn: Er hatte Bauer in seine Position gehievt. Nach einer TV-Diskussion mit Jugendlichen schickte Zinn ihm einen Blumenstrauß als Glückwunsch.
Bauer war Sohn jüdischer Eltern, Atheist und Sozialdemokrat. 1933 hatten die Nazis ihn acht Monate lang inhaftiert, danach floh er nach Schweden. Nach seiner Rückkehr aus der Emigration warb der leidenschaftliche Jurist bei jungen Leuten eifrig für demokratische Werte. Ihn interpretiert Burkhart Klaußner körperbetont und angemessen eigensinnig mit schwäbischem Zungenschlag und zerrauftem Schopf – das intellektuelle Charisma des realen Bauer ist allerdings einer fast rumpelstilzchenhaften Erscheinung gewichen.
Trailer des Dokumentarfilms "Fritz Bauer - Tod auf Raten" von Ilona Ziok
Schwule Seilschaften in der Justiz?
Regisseur Kraume stellt Bauer den erfundenen jungen Staatsanwalt Karl Angermann (Ronald Zehrfeld) als Mitstreiter zur Seite, der gerade seine schwules coming out durchlebt. Eine zweifelhafte Entscheidung – nicht etwa, weil damit auch Bauers Homosexualität thematisiert wird, was an seinem Nimbus kratzen könnte.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Hannah Arendt" - faszinierendes Porträt der Philosophin während des Eichmann-Prozesses von Margarethe von Trotta
und hier einen Bericht über den Film "Elser" - Biopic über den wenig bekannten Hitler-Attentäter von Oliver Hirschbiegel mit Burghart Klaußner
und hier einen Beitrag über den Film “Der deutsche Freund” von Jeanine Meerapfel über Folgen der NS-Vergangenheit in Argentinien.
Finden Sie hier die Termine der Wanderausstellung "Fritz Bauer. Der Staatsanwalt".
Auschwitz-Prozess nur im Abspann
Indem sich der Film auf Bauers heroische Jagd des Massenmörders Eichmann konzentriert, werden andere Leistungen des Staatsanwalts an den Rand gedrängt. Sein eigentliches Lebenswerk, das jahrelange Ringen um den Auschwitz-Prozess, taucht nur im Abspann auf. Und seinen Tod, der von Mord- und Suizid-Verdacht umweht ist, inszeniert Regisseur Kraume zu Beginn des Films merkwürdig verzerrt als Medikamenten-Unfall, den Bauer überlebt.
Auch sonst hat der Film etwas seltsam Verdruckstes; so wird Bauers Widersacher, der ehrgeizige Oberstaatsanwalt Kreidler (Sebastian Blomberg), mit bizarren accessoires wie Fistelstimme und Schoßhündchen ausgestattet. Generell erscheinen die alten Kameraden in BND-Führung und Staatsanwaltschaft so karikaturenhaft, dass es dem angeblich dumpfen Mief der Nachkriegsjahre zuwiderläuft.
Doku-Realität ist spannender
Da stellt sich die Frage, ob und wie man Zeitgeschichte ins Korsett eines konventionellen biopic zwängen sollte. Ungeglättete Wirklichkeit ist allemal aufschlussreicher, wie am Anfang des Films Archiv-Aufnahmen mit einer Ansprache des echten Fritz Bauer zeigen. Dass die Realität sogar spannender sein kann, beweist der gelungene Dokumentarfilm “Fritz Bauer – Tod auf Raten” (2010) von Ilona Ziok, der vor fünf Jahren viel zu kurz im Kino lief.