Die Moderne wurde Anfang der 1980er Jahre in kleinen westdeutschen Clubs verabschiedet. Dort trat „Der Plan“ mit kubistisch anmutenden Bühnen-Masken auf und sang zu Synthie-beats und sägenden Gitarren-riffs: „Zeitgeist, das ist Sklaverei, Mode, Business, Barbarei! Wir scheißen auf die Heuchelei, denn die Moderne ist vorbei! Bye bye, bye bye!“ Diese Zeilen haben ihre Gültigkeit bis heute nicht verloren.
Info
Geniale Dilletanten: Subkultur der 1980er Jahre in Deutschland
26.06.2015 - 11.10.2015
täglich außer montags
10 bis 20 Uhr,
donnerstags bis 22 Uhr
im Haus der Kunst, Prinzregentenstr. 1, München
Katalog 24 €,
Begleitheft gratis
23.01.2016 – 01.05.2016
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr, donnerstags bis 21 Uhr im Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz, Hamburg
erweitert um die
Szene in der DDR:
15.07.2017 - 09.11.2017
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr im Albertinum, Georg-Treu-Platz, Dresden
Herein zur großen Untergangs-Show
Diese Ausstellung spricht von „Subkultur der 1980er Jahre“, was etwas unscharf ist. Die Szene, um die es geht, zerfiel ab 1983. Ende des Jahrzehnts tauchte die von grunge beeinflusste „Hamburger Schule“ auf, dazwischen klafft ein schwarzes Loch. Am ehesten passt „Geniale Dilletanten“; so hieß ein Festival am 4. September 1981 im Berliner Tempodrom – bei dieser „großen Untergangs-Show“ traten allerdings nur Bands der musikalisch härteren Gangart auf.
Der absichtlich falsch geschriebene Titel entsprach dem Selbstverständnis dieser Szene. Das will die vom Goethe-Institut eingerichtete Schau rekonstruieren, indem sie sieben maßgebliche Bands ausführlich vorstellt: Deutsch-Amerikanische Freundschaft (DAF), Palais Schaumburg, Der Plan, Freiwillige Selbstkontrolle (FSK), Die Tödliche Doris und Einstürzende Neubauten, dazu Ornament und Verbrechen (O+V) aus der DDR. Umrahmt von Super-Acht-Filmen und Video-Interviews mit Veteranen von damals, für das Haus der Kunst zudem um rund 20 Gemälde der „Neuen Wilden“ wie Martin Kippenberger, Bernd Zimmer und Elvira Bach ergänzt.
Impressionen der Ausstellung
Alle Erfolgreichen fehlen
Wie in einer Hochkultur-Institution zu befürchten, ist die Auswahl arg kunstlastig. Nur DAF hatten chart hits und wirkten stilprägend auf electronic body music (EBM) und techno. Die Neubauten wurden rasch zum Premiumprodukt deutschen Kulturexports: oft bestaunt, selten gehört. Die übrigen vier westdeutschen Bands begeisterten mit ihren verspielt artifiziellen Konzepten nur kleine Zirkel, ebenso aus nahe liegenden Gründen O+V; dem ostdeutschen underground saß die Stasi im Nacken.
Dagegen fehlt – außer ein paar Fotos von den „Goldenen Zitronen“ und wilden Pogo-Partys – die quicklebendige deutsche punk-Szene völlig. Obwohl sie zwei Bands hervorbrachte, die superstars wurden, ohne ihre street credibility zu verlieren: Die Toten Hosen und Die Ärzte. Ebenso kommen weder die shooting stars von Ideal noch die stilistisch einflussreiche Gruppe Fehlfarben vor, die je auf ihre Art mit eigenwilligem sound das Lebensgefühl dieser Jahre genau trafen – womit sie mehr Zuhörer erreichten als alle hier präsentierten Bands zusammen.
Der „Zeit“ entgeht die Ironie
Natürlich ließe sich ewig darüber streiten, welche Musiker wirklich federführend waren. Schwerer wiegt, dass die Schau kaum herausarbeitet, was alle Akteure gemeinsam hatten: etwa deutsche Liedtexte. Das klingt heute banal; damals erregte es großes Aufsehen. Als Akt kultureller Emanzipation: Zuvor hatten alle Jugendkulturen ihre Ausdrucksformen aus dem angelsächsischen Raum importiert. Nun wurden erstmals nicht nur seichte Schlager, sondern auch schräge Avantgarde-songs in der Muttersprache gesungen.
Was Sittenwächter der political correctness sofort unter Nationalismus-Verdacht stellten. Als DAF 1981 einen disco hit mit dem Refrain „Tanz den Mussolini!“ hatten, widmete die Wochenzeitung „Die Zeit“ ihr Dossier allen Ernstes der Frage, ob solche Musik neofaschistisch sei. Sie beantwortete sich von selbst, wenn man den song vollständig hörte: Außerdem wurden noch Hitler, Jesus Christus und der Kommunismus vertanzt.
Womit DAF zum markanten, wenn auch eher schlichten Beispiel für ein Markenzeichen dieser Bewegung wurden: Ironie. Kaum zu glauben, doch das war in der Popmusik ebenso neu. Seit ihren Anfängen im rock’n’roll der 1950er Jahre waren lyrics stets wörtlich gemeint. Mit punk und new wave änderte sich das, und die Deutschen zogen Ende der 1970er Jahre nach: Plötzlich wurden Texte ironisch, sarkastisch, zynisch oder total absurd.