Nüchternheit einer entzauberten Welt aushalten
Als Reaktion auf eine große Enttäuschung: Die counter culture der 68er-Bewegung hatte Popmusik als Medium der Anklage und Weltverbesserung benutzt. Ein Jahrzehnt später war klar, dass sie dafür nicht taugte. Von den Wandervögeln um 1900 bis zu den hippies wollte jede Jugendkultur das herrschende System mit ihrem neuen Lebensstil reformieren – ohne Erfolg. Alternativ- und Friedensbewegung empfand die postpunk-Subkultur als genauso spießig und verknöchert wie das, wogegen die Ökos anrannten. „Bitte geh doch nach Indien“, empfahlen FSK ihnen höhnisch.
Deshalb wechselten punks, Kunststudenten und Experimental-Musiker die Strategie: Anstatt das Bestehende abzulehnen, übersteigerten sie es ins Groteske. Hässliche Betonbauten verunstalten die Lebenswelt? Also feiert man sie mit giftigen synthesizer sounds auf Platten in Schwarzweiß-Hüllen. Krisen jagen einander, durch Hochrüstung droht Atomtod? Also wird die nahende Katastrophe in stoischer Lakonie beschworen. Die Protagonisten wollten „die Nüchternheit einer entzauberten Welt aushalten“ – obwohl kaum einer Max Webers Devise gekannt haben dürfte.
Heute Disco, morgen Umsturz
Wer französische Theoretiker der Postmoderne las oder das Szene-Zentralorgan SPEX, das in der Schau nirgends erwähnt wird, nannte es: „Subversion durch Affirmation“. Nicht in den Niederungen der Politik, sondern bei der kulturellen Hegemonie von Zeichen und Praktiken sollte sich Entscheidendes ändern. Von der Revolution sprach diese Generation so ungeniert wie die vorangegangene; sie begriff sich als ebenso links, nur schlug sie einen anderen Weg ein. „Heute Disco, morgen Umsturz, übermorgen Landpartie“, proklamierten FSK: charmant kokett, aber nur halb unernst gemeint.
Dass es nicht so fix gehen würde, wussten alle. Bis dahin blieb noch Zeit, um alles Mögliche auszukosten, was die „Dilletanten“ beherzt taten. Nie zuvor hat die kreative Jugend so viel ausprobiert: Musik, Kunst oder Literatur, am besten alles gleichzeitig in Personalunion. Nichtmusiker bastelten sich Instrumente oder entlockten Billig-synthesizers seltsame Klänge. Atonales und noise wurde so selbstverständlich integriert wie zuvor nur in esoterischer E-Musik.
Gegen Schweinesystem-Musikindustrie
Selbst fotokopierte fanzines zirkulierten massenweise – wie blogs auf Papier. Independent labels brachten unzählige Platten in Kleinauflagen heraus. Konzerte wurden in den letzten Löchern veranstaltet, Bands formierten sich und lösten sich bald wieder auf: als Vorläufer kurzlebiger dancefloor music-Projekte in den 1990er Jahren und heutiger start ups. Das emsige Treiben war antikapitalistisch ausgerichtet: do it yourself gegen die Musikindustrie des Schweinesystems.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die 80er – Figurative Malerei in der BRD" über die "Neuen Wilden" im Städel Museum, Frankfurt/ Main
und hier ein Beitrag über den Film "Tod den Hippies - Es lebe der Punk!" über die Underground-Szene in Westberlin um 1980 von Oskar Roehler
und hier ein Bericht über den Film “Blank City” über die No-Wave-Szene im New York der späten 1970er Jahre von Céline Danhier
und hier eine Besprechung des Films "Sound of Noise – Die Musik-Terroristen" - von Ola Simonsson + Johannes Stjärne Nilsson
Subkultur siegt sich zu Tode
Verloren haben sie nur ihre Vorreiterrolle. Als Wortführer einer Subkultur, die sich quasi zu Tode gesiegt hat: Ironie wurde in der Spaßgesellschaft der 1990er Jahre zur kleinen Münze der Unterhaltungsbranche, heute quillt sie von jedem Werbeplakat. Unabhängige Plattenfirmen haben ihre stabile Marktnische – und leiden wie die Musikindustrie unter Käuferschwund. Und die Motivation zum Selbermachen wird als Ich-AG staatlich gefördert; dabei ist die lustvolle Selbstverausgabung dem Zwang zur Selbstoptimierung gewichen.
Die erhoffte Revolution ist eingetreten – nur nahm sie als Zusammenbruch des Ostblocks, Digitalisierung der Gesellschaft und Aufstieg autoritärer Herrschaftsmodelle einen ganz anderen Verlauf als erwartet. Dass der Denkhorizont von 1980 dazu wenig hergibt, ist offensichtlich.
Die Moderne ist vorbei
Doch eines dürfen sich etliche Veteranen der Bewegung zugute halten: Anders als die meisten ihrer Vorgänger haben sie ihre Ideale nicht verraten. Anstatt kommerziellen Erfolgen hinterher zu jagen, basteln sie lieber an ihren anspielungsreichen Privatuniversen herum. Die Moderne ist vorbei, bye bye, bye bye!