
„Knight of Cups“ ist kein Spielfilm – sofern man darunter einen Film mit Handlung, Charakteren und Dialogen versteht. „Knight of Cups“ ist auch kein Essayfilm, der ein Thema oder Thesen entwickelt – vielleicht visuell sprunghaft, aber in logischem Zusammenhang. Und schon gar kein Dokumentarfilm, der beansprucht, Wirklichkeit abzubilden.
Info
Knight of Cups
Regie: Terrence Malick,
118 Min., USA 2013;
mit: Christian Bale, Cate Blanchett, Natalie Portman, Freida Pinto
Beim reinen Sein zusehen
Als sein alter ego fungiert Christian Bale als Hollywood-Drehbuchautor Rick. Zwei Stunden lang sagt er kein Wort; das übernimmt ein unablässiges Selbstgespräch auf der Tonspur, in schwelgerischen score eingebettet. Rick ist dauernd unterwegs, alle paar Minuten woanders; wie er dort hingelangt und warum, bleibt offen. Weil der Film nichts erläutert oder begründet; er beobachtet nur seine Hauptfigur bei der reinen Anschauung.
Offizieller Filmtrailer
Tarot-Karte des Traumtänzers
Dabei erlebt Rick einiges. Er streunt durch Straßen, Filmstudios und Büropaläste. Er schlendert durch ausschweifende Partys in luxuriösen Malibu-Anwesen. Er flirtet mit rassigen Schönheiten und einer Stripperin. Er vergnügt sich im Hotel mit Prostituierten. Einmal landet er bei einer Wahrsagerin, die ihm Tarot-Karten legt, deren Namen den Film in Abschnitte gliedern: Die Karte „Knight of Cups“ („Ritter der Kelche“) steht für einen Traumtänzer oder Suchenden.
Doch Rick scheint nie bei der Sache. Sein Blick schweift unstet umher, er wirkt zerstreut. In ihm steigen Erinnerungen auf und verdrängen die Außenwelt: an seine Ex-Ehefrau, die Ärztin Nancy (Cate Blanchett); seinen Vater, mit dem er und sein Bruder sich entzweit haben; an verflossene Liebhaberinnen und abgelegte Affären, die Schlüsselsätze hauchen. Bis Rick an die erhabenen Gestade von Meer und Wüste flieht.
Irrlichtender Kamera-Blick
Wobei kaum unterscheidbar ist, was in der filmischen Realzeit und was in der Vergangenheit spielt. Die meisten Szenen könnten chronologisch ablaufen; oder sie sind umgekehrt längst geschehen und werden nur in bunter Folge heraufbeschworen. Die Kamera bietet keinen Anhalt: Sie gleitet, mäandert, schwebt und taumelt, sie streift alles und verliert es sogleich wieder aus den Augen. Wie der menschliche, ständig irrlichternde Blick.
Damit hat Terrence Malick sein schmales Œuvre weiter radikalisiert. Sein Debüt „Badlands“ (1973) und „In der Glut des Südens“ (1978) machten ihn berühmt; danach stellte er in 27 Jahren nur zwei weitere Filme fertig. Nun hat er in vier Jahren drei weitere gedreht: „The Tree of Life“ (2011) erweiterte eine Familiengeschichte ins Kosmische, aber mit sparsamen Dialogen. „To the Wonder“ (2012) beschrieb ein Paradigma der Liebe, aber noch linear.
Hyperaktive Lähmung des Bewusstseins
All das lässt Malick bei „Knight of Cups“ weg, um ein zentrales Syndrom der Epoche auszubreiten: die große westliche Depression. Alles ist verfügbar und ausgekostet, doch nichts verleiht Sinn und Orientierung. Sehnsüchte und Schuldgefühle nagen quälend, finden aber keine Richtung. Stattdessen überfluten sie das Gemüt und kreisen in rasendem Stillstand: Die hyperaktive Lähmung des depressiven Bewusstseins hat wohl noch kein Regisseur so anschaulich auf die Leinwand gebracht.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “To the Wonder” – einzigartig eigenwilliges Liebes-Drama von Terrence Malick mit Ben Affleck
und hier einen kultiversum-Beitrag über den Film "Tree of Life" - bildgewaltiges Familien-Epos von Terrence Malick
und hier einen Bericht über den Film "Enter the Void" - radikaler Experimentalfilm aus Sicht eines Toten von Gaspar Noé.
Experimentales Erkenntnis-Medium
Die Weg ist das Ziel. Dafür findet der Regisseur eine unerhört offene Form, die dem Zuschauer einiges zumutet. Alle üblichen Geländer fehlen; er muss sich im Strom exquisit schöner Bilder und räsonierender Reflexion selbst zurechtfinden. Er kann alles ignorieren, als belanglos, zerfasert und kitschig verwerfen – oder sich darauf einlassen. Ob mit Gewinn, steht dahin; es ist nur ein Angebot.
Das muss keiner mögen. Man kann Malicks Spätwerk als prätentiöse Sinnsucherei mit Kalenderspruch-Weisheiten abtun. Aber man sollte anerkennen, dass dieser Regisseur Film nicht als Unterhaltungsware, sondern rigoros als Erkenntnis-Medium versteht – und dafür in unserer durchformatierten Welt eine noch nie gesehene Experimental-Bildsprache entwickelt, um zeitlose Fragen nach dem richtigen und guten Leben zu stellen.
Dampfer souverän steuern
Wobei er sich nicht scheut, über religiöse Motive nachzudenken – was der restliche Kulturbetrieb in special interest-Nischen verbannt, obwohl mehr als zwei Drittel der US-Amerikaner gläubige Christen sind. Terrence Malick mag auf dem völlig falschen Dampfer sein – aber er steuert ihn so souverän in unbekannte Gewässer wie sonst niemand.