
Diese Ausstellung ist ein Kassenschlager mit Ansage. Den können die Staatlichen Museen zu Berlin (SMB) gut gebrauchen: Sie verzeichneten 2014 zehn Prozent weniger Besucher – peinlich in einer Stadt, in die immer mehr Touristen strömen. Nach London und Paris liegt Berlin mit jährlich fast 29 Millionen Hotelübernachtungen auf dem dritten Rang der populärsten Reiseziele in Europa.
Info
The Botticelli Renaissance
24.09.2015 - 24.01.2016
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr,
donnerstags bis 20 Uhr,
am Wochenende ab 11 Uhr
in der Gemäldegalerie, Kulturforum, Berlin
Katalog 29 €
Botticelli Reimagined
05.03.2016 - 03.07.2016
täglich 10 bis 17.45 Uhr
im Victoria & Albert Museum, Cromwell Road, London
Wie Theater- oder Konzertkarten
Dafür mobilisiert das Management modernste Medien. In Youtube-Werbespots hauchen Badenixen am Wannsee oder schwule cruiser im Tiergarten verführerisch: „Botticelli kommt nach Berlin“ – dann werden passende Gemälde wie seine „Venus“ oder sein „Heiliger Sebastian“ eingeblendet.
Zwar wäre unsinnig, den SMB zu unterstellen, sie würden eilends Massen-Spektakel auf die Beine stellen: Derartige Großausstellungen benötigen drei bis vier Jahre Vorbereitung. Doch in der Gemäldegalerie wird rasch deutlich, dass die Kasse klingen soll. Zum regulären Tarif von 14 Euro sind nur „Zeitfenster-Tickets“ zu haben. Wer selbst entscheiden will, wann er hingeht, muss am Wochenende den doppelten Preis hinlegen; da wird ein Museumsbesuch so teuer wie Theaterkarten oder Rockkonzerte.
Interview mit SMB-Generaldirektor Michael Eissenhauer und Impressionen der Ausstellung
Auf Liebesgöttin herumtrampeln
Dafür empfängt den Kunstfreund das Wichtigste zuerst: der souvenir shop. Botticellis Venus in allen (un-)möglichen Variationen, etwa als Kaffeebecher oder Sporthandtuch – und als Einkaufstasche, um die Mitbringsel stilgerecht zu verstauen. Besonders geschmackvoll: flip flops mit aufgedrucktem Venus-Motiv, um nach Herzenslust auf der Liebesgöttin herumzutrampeln. Kataloge sind übrigens auch erhältlich.
Regale voller merchandising-Tinnef harmonieren hervorragend mit dem Konzept dieser Ausstellung. Sie soll weniger das Werk von Sandro Botticelli (1445-1510) vorstellen als vielmehr seine schillernde Wirkungsgeschichte. Unter der Leitfrage: Wie wurde ein Jahrhunderte lang fast vergessener Künstler so populär, dass ihn heutzutage jeder kennt?
Barbie-Puppe reitet auf Botticelli
Mit nur zwei Gemälden in den Uffizien von Florenz: „Die Geburt der Venus“ (1485/86) und „Primavera“ (1482/87). Beide Bilder werden unentwegt für Reklame und Produkte abgekupfert und missbraucht. Lady Gaga posiert als schaumgeborene Venus für ein Plattencover; „Botticelli“ heißt sogar das Plastik-Pony der Barbie-Puppe.
Damit setzt die Schau ein. Sie verfolgt ihr Thema quasi im Rückwärtsgang: zuerst die zeitgenössische Zitatorgie, dann die Wiederentdeckung im 19. Jahrhundert, zuletzt die Originalwerke. Man soll sich also Botticelli über seine Kopisten erschließen. Paradoxerweise funktioniert das im ersten Saal mit Gegenwartskunst am besten – zumindest bei Arbeiten, die sich die „Geburt der Venus“ vornehmen, deren Vorlage jeder vor Augen hat.
SMB-Werbespot "Geburt der Venus"; © SMB
Naomi Campbell als schwarze Venus
Der Brasilianer Vik Muniz stellt sie als „Müll-Bild“ nach: Ihre Muschel ruht auf Computer-Schrott, ihre Haare bestehen aus Kabelsalat. Yin Xin sinisiert ihr Antlitz: Mit schwarzem Haar und mongolischen Augen wirkt sie nicht minder attraktiv.
Die Japanerin Tomoko Nagao katapultiert sie als Manga-Figur in die Warenwelt des 21. Jahrhunderts: Venus steht auf einer Sony-Spielkonsole, die Hore reicht ihr Shiseido-Creme, über dem Meer aus Baci-Pralinen starrt der Himmel vor Easy-Jet-Fliegern. Und glamour-Fotograf David LaChapelle arrangiert um die Göttin herum ein grellbuntes Kitsch-tableau.
Schon LaChapelles zweiter Beitrag „Rape of Africa“ zeigt aber die Grenzen dieser Herangehensweise auf. Das Querformat mit star model Naomi Campbell als Göttin und Kindersoldaten, die ballern und plündern, ist eine Paraphrase von „Venus und Mars“ (1485); einem Hauptwerk Botticellis.