Joshua Oppenheimer

The Look of Silence

Adi spricht mit seiner Mutter Rohani über die Massaker 1965/6. Foto: Koch Media/ Neue Visonen Filmverleih
(Kinostart: 1.10.) Die Mörder sind unter uns: Die Verantwortlichen für Massaker in Indonesien 1965/6 sind bis heute unbehelligt geblieben. Sie konfrontiert Regisseur Oppenheimer mit den Opfern: ein leiser Dokumentarfilm von aufwühlender Intensität.

Dieser Film ist visuell völlig unspektakulär. Anders als sein Vorgänger: In „The Act of Killing“ sprachen die Schergen des Suharto-Regimes in Indonesien nicht nur freimütig über ihre Beteiligung an den antikommunistischen Massakern 1965/6. Sie drehten über ihre Untaten sogar einen Spielfilm – in derart grotesken Kulissen und Kostümen, dass es fast unglaublich schien.

 

Info

 

The Look of Silence

 

Regie: Joshua Oppenheimer,

103 Min., Indonesien/ Dänemark 2014;

 

Website zum Film

 

Dagegen beginnt „The Look of Silence“ wie ein grass-roots-Dokumentarfilm: bei einer armen Familie im Norden von Sumatra. Vater Rukun sitzt als blinder und hinfälliger, aber gewitzter Greis im Rollstuhl. Seine Ehefrau Rohani pflegt ihn hingebungsvoll, ohne sich den Mund verbieten zu lassen. Ihr jüngster Sohn Adi tritt zurückhaltend und nachdenklich auf. Er kam 1968 zur Welt; also nach der Staatsterror-Welle, der auch sein älterer Bruder Ramli zum Opfer fiel.

 

Täter und Opfer begegnen einander

 

Während sie den Haushalt führt, spricht die Mutter ausführlich über das Blutbad von 1965/6 und die dafür Verantwortlichen. Sie leben weiterhin in der Nähe und sitzen fest im Sattel: als Provinz-Notabeln, die wichtige Posten in Wirtschaft und Verwaltung inne haben. Täter und Opfer bzw. ihre Nachfahren kennen sich; sie begegnen einander häufig in den umliegenden Dörfern und Kleinstädten.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Sehschwächen der Mörder diagnostizieren

 

Nun sucht Adi die damaligen Mörder zuhause auf; dabei begleitet ihn Regisseur Joshua Oppenheimer mit kleinem Team. Das ist verwegen in asiatischen Gesellschaften, die offene Debatten tunlichst vermeiden, weil ihnen Gesichtswahrung über alles geht. Als Vorwand dient Adi sein Beruf als Optiker: Mit Messinstrumenten diagnostiziert er die Sehschwächen seiner Kunden – eine passende Metapher für das, was nun folgt.

 

Adi verwickelt seine jeweiligen Gegenüber in Gespräche über die Ereignisse von 1965/6. Die meisten Unterhaltungen verlaufen nach ähnlichem Muster wie bereits in „The Act of Killing“: Die Missetäter erinnern sich freudig und schmücken ihre Erzählungen lebhaft mit allerlei scheußlichen Einzelheiten aus – etwa der abergläubischen Praktik, Blut von Hingerichteten zu trinken, um nicht wahnsinnig zu werden.

 

Lokal-Potentaten drohen mit neuer Verfolgung

 

Bis Adi nach dem Anlass für diese Metzelei und ihrer persönlichen Verantwortung fragt: Da werden die Täter einsilbig, flüchten sich in die offizielle Legende, die Kommunistische Partei Indonesiens (PKI) habe einen Bürgerkrieg entfesseln wollen, und brechen die Unterredung ab. Oder Lokal-Potentaten drohen Adi ganz unverhohlen: Ob er und seinesgleichen erneut gewaltsame Verfolgung riskieren wollten, indem sie alte Geschichten wieder aufwärmten?

 

So wird man Zeuge von Vergangenheitsbewältigung in the making. Im Oktober 1965 nahm der rechtsgerichtete General Suharto den missglückten Putsch einer kleinen Gruppe von Offizieren zum Anlass, um Staatschef Sukarno abzulösen. Seine Militärdiktatur befestigte Suharto mit einer Hetzjagd auf Kommunisten, Gewerkschafter und ethnische Minderheiten: Bis Mitte 1966 wurden von der Armee und eilends rekrutierten Hilfstruppen zwischen einer und 2,5 Millionen Menschen abgeschlachtet; die genaue Zahl der Opfer ist unbekannt.

 

Dominotheorie ließ Washington zustimmen

 

Dabei genoss Djakarta als Verbündeter Washingtons die stillschweigende Zustimmung des Westens: Zur gleichen Zeit begann der Vietnam-Krieg als Folge der US-„Dominotheorie“ – der Sorge, ganz Südostasien könnte Kommunisten in die Hände fallen.

 

Zwar wurde Suharto 1998 gestürzt; seither hat sich die indonesische Politik demokratisiert. Dennoch sind viele Büttel und Günstlinge des alten Regimes weiter in Amt und Würden. Eine Aufarbeitung eines der größten Massenmorde des 20. Jahrhunderts fand bislang kaum statt.

 

Wie im NS-Vernichtungslager Treblinka

 

Stattdessen werden Schulkinder weiter mit der Geschichtsfälschung indoktriniert, Suharto habe Indonesien vor dem Kommunismus bewahrt, wie Oppenheimer zeigt. Die Opfer seiner Ausrottungs-Kampagne bleiben zum Schweigen verdammt; viele von ihnen werden bis heute diskriminiert.

 

Die Kamera folgt Adi an Böschungen und Flussufer, wo außerhalb der Sichtweite von Dörfern Tausende hingemordet wurden. Davon ist nichts zu sehen; der Wind streicht durch dichtes Schilfgras, als sei nie etwas passiert. Wie im ostpolnischen NS-Vernichtungslager Treblinka; dort erinnern auch nur ein paar Gedenksteine im Gras daran, dass an diesem Ort fast eine Million Menschen ihr Leben verlor.

 

Onkel hat nur Befehle ausgeführt

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau von Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier ein Interview mit Joshua Oppenheimer über "The Look of Silence"

 

und hier einen Bericht über den Film “The Act of Killing” – Dokumentation von Joshua Oppenheimer über Folgen der Massaker in Indonesien 1965, Europäischer Filmpreis 2013

 

und hier eine Besprechung des Films "Bonne Nuit Papa" - Doku über Massaker der Roten Khmer in Kambodscha und ihre Nachfahren von Marina Kem

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung “ASIA: Looking South” mit zeitgenössischer Kunst aus Indonesien in der Galerie ARNDT, Berlin.

 

Man kommt kaum umhin, die Situation mit der in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zu vergleichen: Die Schrecken sind zwar vorbei, aber noch ungesühnt. Täter und Opfer bevölkern dieselben Häuser und Straßen. Mit einem Unterschied: Keine Besatzungsmacht hat in Indonesien die Verbrecher zur Rechenschaft gezogen. Im Gegenteil: Sie haben mit ihren Klientel-Systemen große Teile der Gesellschaft fest in der Hand – von Reue keine Spur.

 

In einer der eindrücklichsten Szenen besucht Adi einen Onkel. Der war im Repressions-Apparat nur ein kleines Licht: In einem provisorischen Lager bewachte er Gefangene, bevor sie zur Hinrichtung abgeholt wurden. Davon will er nichts gewusst haben; im Übrigen habe er nur Befehle ausgeführt, sagt er. Adi hakt nicht nach; den Verwandten offensiv zur Rede zu stellen, wäre unschicklich. Doch seine Mundwinkel zittern, ebenso die seines Onkels: ein Augenblick von beklemmender Intensität.

 

Indonesisches Team bleibt anonym

 

Regisseur Oppenheimer fängt solche Momente so diskret wie unnachsichtig ein. Dadurch kommt er ohne Kommentar aus; Worte, Gesten und Gesichter der Akteure sprechen für sich. Es dauert, bis man als westlicher Zuschauer in ihnen zu lesen versteht: Asiatische Förmlichkeit und Affektkontrolle bilden eine Schutzschicht, die anfangs alles unverfänglich erscheinen lässt.

 

Doch nach einer Weile begreift man, wie ungeheuerlich alles ist: der monströse Massenmord vor 50 Jahren, die dreiste Selbstrechtfertigung der damaligen Täter und der Wagemut, mit dem ein Betroffener und ein Filmemacher an dieses nationale Tabu rühren. Sowie die Gefahr, der sie sich aussetzen: Um sie zu schützen, bleiben alle indonesischen Filmteam-Mitglieder anonym. Diese aufwühlende Dokumentation könnte ebenso betitelt sein wie Wolfgang Staudtes berühmter „Trümmerfilm“ von 1946: „Die Mörder sind unter uns“.