Rhein-Neckar-Region

6. Fotofestival „7 Orte, 7 Prekäre Felder“

Lukas Einsele: The Casters (Detail); aus der Serie "The Many Moments of an M85 - Zenon´s Arrow Retraced", 2012. Fotoquelle: 6. Fotofestival
Wie Sie sehen, sehen Sie wenig: Die größte deutsche Fotoschau in Mannheim, Ludwigshafen und Heidelberg will sieben wichtige Zeitprobleme bebildern – und übernimmt sich. Deutlich wird, wie schwierig es ist, die Wirklichkeit noch im Bild festzuhalten.

 

Effektive Überwachung bleibt unerkennbar

 

Um beliebige Bildermassen einerseits und willkürliche Einzelaufnahmen andererseits zu vermeiden, nutzt Jules Spinatsch ein aufwändiges Verfahren: Computergesteuerte Kameras tasten stundenlang eine bestimmte Einstellung ab. Aus fast 800 Einzelbilder setzt Spinatsch sieben wandfüllende Mosaik-Panoramen zusammen: eines für jeden Ausstellungsort. Die Motive schillern vor Lichteffekten und Detailfülle, bleiben aber trivial: etwa eine Fabrikhalle im Hack-Museum, ein Verkaufsraum in der Kunsthalle Mannheim oder eine Diskothek im Heidelberger Kunstverein.

 

Dort geht es um „Kommunikation & Kontrolle“ – was noch undurchsichtiger ausfällt. Trevor Paglen müht sich redlich, die Infrastruktur von Geheimdiensten zur Totalbeobachtung dingfest zu machen: Abhör-Stationen, Aufklärungs-Satelliten, Raketen und Drohnen. Mit diffusem Ergebnis: In menschenleeren Gegenden stehen Verwaltungsgebäude oder Antennen-Anlagen herum; am Sternenhimmel zeichnen sich schwache Lichtpunkte oder -streifen ab. Überwachung, die effektiv sein will, bleibt unerkennbar.

 

Wenn die Qualitäts-Kontrolle aussetzt

 

Immerhin weiß Paglen, was er sucht. Dagegen hält Marco Poloni einfach nur drauf: Seine Anzugträger und Damen im Kostümchen an Nicht-Orten wie Hotellobbys und Bürotürmen könnten irgendwer sein – sogar Träger von Macht, wie er versichert. Und Melanie Gilligan verabschiedet sich aus der Realität mit einer totalitären Spielfilm-Fantasie; da setzt die Qualitäts-Kontrolle des Kurators aus.

Impressionen der Ausstellung in der Kunsthalle Mannheim: "Geld & Gier"


 

Banknoten-Farbe als Kokain schnupfen

 

Realitätsgesättigter soll „Urbanismus & Real Estate“ im Mannheimer ZEPHYR-Raum sein: so fest einbetoniert wie Neubauten. Die lichtet Ai Weiwei en gros ab; seine Megalomanie entspricht den Dimensionen von Chinas Bauboom und lässt ebenso frösteln. Wie die Plattenbau-Collagen von Frank van der Salm: Folterkammern aus Rasterfassaden weltweit. Solche Materialschlachten baut Hiroko Komatsu in der Ausstellung nach: Ihre Müllhalde aus Fotos von asiatischen Baustellen löst geradezu Abscheu aus.

 

Den sollen wohl auch die Arbeiten zu „Geld und Gier“ in der Kunsthalle Mannheim hervorrufen. Wobei die Ausbeuter-Lebenswelt bei Paolo Woods und Gabriele Galimberti idyllisch anmutet: In Steuerparadiesen begegnen sie Superreichen vor Luxusherbergen, mit Trendsport-gadgets oder beim Entspannen im rooftop pool. Ähnlich vergnüglich konsumiert Glenda Léon Geld als Droge: Sie kratzt Druckfarbe von einem Dollar-Schein und schnupft sie, als sei es Kokain.

 

Geldsegen für Hans im Glück

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Zoom! Architektur und Stadt im Bild" mit Fotografie über aktuelle Stadtentwicklung in der Pinakothek der Moderne, München

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Supermarket of the Dead" über Konsumismus + Vermögensvernichtung in China im Residenzschloss, Dresden

 

und hier einen Bericht über das hervorragende
4. Fotofestival 2011 unter dem Motto "The eye is a lonely hunter: Images of humankind" an sieben Orten in der Rhein-Neckar-Region.

 

Doch die meisten Beiträge scheitern an der Immaterialität von Kontoständen: Polly Bradens Momentaufnahmen aus der Londoner City wirken nichtssagend. Gaëlle Boucand lässt einen Neureichen langatmig über seine Verlustängste schwadronieren. Stefanos Tsivopoulos pflastert einen kompletten Raum mit Beispielen für alternative Zahlungsmittel – von Inflations-Notgeld bis zu hell money für chinesische Brandopfer.

 

Zugleich erzählen Video-Filme von unverhofftem Geldsegen: Eine reiche, alte Frau faltet Euro-Banknoten zu Papierblumen, die in der Abfalltonne landen. Dort findet sie ein junger, armer Schwarzer, der nach verwertbarem Altmetall sucht, und wird im Nu zum Hans im Glück. Wunschdenken, so alt wie Bargeld – hier in Dolby Surround.

 

Keine Welterklärungs-Enzyklopädie

 

Mit dieser Flucht ins Märchenhafte demonstriert Tsivopoulos, wie wenig der Wirklichkeit von Finanzkrise und Flüchtlingsströmen mit Fotografie beizukommen ist. Sie taugt eher zur Bebilderung von Tagträumen und Denunziation vermeintlicher Sündenböcke. Doch die tektonischen Verschiebungen der Gegenwart entgehen jeder Kamera: Da sie an Oberflächen klebt, fällt sie als Medium zur Aufklärung über solche Tiefenströmungen aus.

 

Trotzdem bleiben jede Menge Phänomene übrig, die sich fotografisch erfassen lassen. Nicht die Megatrends der Weltgesellschaft, aber alles, was dem Leben Farbe und Reiz verleiht. Darauf sollte sich das nächste Fotofestival beschränken, anstatt eine Welterklärungs-Enzyklopädie ausbreiten zu wollen: Nachschlagewerke im Internet sind längst besser.