
Der perfekte Tag beginnt mit einer Leiche: im Jahre 1995 irgendwo auf dem Balkan, im ganz normalen Wahnsinn von Kriegswirren. Hier sollen UN-Blauhelmsoldaten für Frieden und Sicherheit sorgen, während internationale Hilfsorganisationen der zermürbten Bevölkerung helfen wollen, inmitten dieses Chaos zu überleben.
Info
A Perfect Day
Regie: Fernando Léon de Aranoa,
106 Min., Spanien 2015;
mit: Benicio del Toro, Tim Robbins, Mélanie Thierry, Olga Kurylenko
Aus Sicht einer Leiche filmen
Die erste Einstellung ist quasi aus Sicht des Leichnams gedreht: Über einen tiefen Brunnen-Schacht beugt sich eine kleine Schar von Helfern. Sie blicken zweifelnd hinab und ziehen mühevoll am Seil, das den leblosen Körper nach oben hieven soll. Doch die brüchigen Fasern des alten Seiles geben nach; von unten tönt dumpf ein lautes Platschen, gefolgt von lauten Flüchen in verschiedenen Sprachen.
Offizieller Filmtrailer
In der Krise die Krise bekommen
Nichts Neues für Sicherheitschef Mambrú (Benicio del Toro) aus Costa Rica und Logistiker B (Tim Robbins) aus den USA, die für „Aid without Borders“ tätig sind. Beide sind alte Hasen solcher Einsätze in Kriegsgebieten und ein eingespieltes Team: Stoische Gelassenheit und schwarzer Humor helfen ihnen dabei, jeder Herausforderung erfinderisch zu begegnen.
Ergänzt wird ihr Team durch Neuzugang Sophie (Mélanie Thierry) und den Dolmetscher Damir. Die junge Französin ist voller Idealismus; allerdings fehlt ihr der nötige innerliche Abstand zum Erlebten, um bei einer Krise nicht selber die Krise zu bekommen. Zynismus und raubeiniger Humor ihrer männlichen Kollegen überfordern sie. Zudem taucht bald noch Katya (Olga Kurylenko) auf, die Arbeitsweise und Effizienz der Einheit überprüfen soll: Dass sie früher Mambrús Geliebte war, macht die Sache nicht leichter.
Minenfeld als unüberschaubarer Irrgarten
Damir ist als einziger kein expat im Exil; er bringt Ruhe und Tiefgang in den draufgängerischen Haufen. Allerdings wird er seine zerstörte Heimat nicht verlassen können, wenn der Einsatz beendet ist: Er blickt eher demütig auf diesen Scherbenhaufen aus unwegsamem Bergland, dessen Bewohner mühsam versuchen, zu einem friedlichen Alltag zurückzukehren.
Der spanische Regisseur Fernando Léon de Aranoa bleibt seinen Protagonisten dicht auf den Fersen. Indem er die kleine Einheit direkt und sehr intim beobachtet, erschließt sich allmählich ein ganzer Mikrokosmos: ein unüberschaubarer Irrgarten aus unausgesprochenen Regeln, militärischen Vorschriften, komplexen bürokratischen Verfahren, zwischenmenschlichen Problemen und Ausnahmezuständen aller Art – im wahrsten Sinne des Wortes ein Minenfeld.
Sich dem Regen hingeben
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Der serbische Anwalt" - Doku über den Prozess gegen Bosnienkriegs-Verbrecher Karadžić von Aleksandar Nikolić
und hier einen Bericht über den Film “Djeca – Kinder von Sarajevo“ – Drama über Kriegswaisen in Bosnien von Aida Begić
und hier einen Bericht über den bosnischen Film “Aus dem Leben eines Schrottsammlers” – Sozialstudie von Danis Tanović, prämiert mit dem Großen Preis der Berlinale-Jury 2013
Die Romanvorlage „Dejarse llover“ (auf Deutsch etwa: „Sich dem Regen hingeben“) schrieb 2005 die Spanierin Paula Farias; sie war jahrelang für die Hilfsorganisation „Ärzte ohne Grenzen“ weltweit beschäftigt. Darin beschreibt sie nüchtern den oft frustrierenden Alltag von Helfern, die manche bedrohlichen bis lebensgefährlichen Situationen nur mit viel Humor und Zynismus bewältigen können.
Nutten zählen nicht
Genau diesen Ton schlägt auch Regisseur Aranoa an, wenn etwa Tom Robbins als US-Routinier gefragt wird: „Gibt es daheim irgendjemanden, der auf Dich wartet? Nutten zählen nicht.“ Sein Film ist unsentimental illusionslos – und zugleich voller Sympathie für den unspektakulären Heroismus von Leuten, die auf westlichen Komfort völlig verzichten müssen, um Menschenleben zu retten.
Dank sagenhaft guter Leistungen aller Schauspieler wird dieser Einblick in die Entwicklungshelfer-Szene zu einer Expedition an die Ränder der Zivilisation und darüber hinaus: auf einen fremden Planeten aus Krieg und Zerstörung, wo dennoch Hoffnung und Humanität walten – nur wenige Flugstunden entfernt.