Franz Josef Strauß selig soll einmal gesagt haben, eine gut organisierte neofaschistische Partei könnte in Deutschland auf Anhieb 20 bis 30 Prozent der Wählerstimmen bekommen. Romanautor Timur Vermes, der die Drehbuch-Vorlage lieferte, und Regisseur David Wnendt machen die Probe aufs Exempel.
Info
Er ist wieder da
Regie: David Wnendt,
110 Min., Deutschland 2014;
mit: Oliver Masucci, Fabian Busch, Christoph Maria Herbst, Katja Riemann
Erstmal im Kiosk Zeitung lesen
Sondern eher der junge Hitler, der ab 1920 als „Trommler“ für die frisch gegründete NSDAP durchs Deutsche Reich tourte und seine Zuhörer mit feuriger Rhetorik für sich einnahm. So auch jetzt; der Gröfaz fängt noch einmal von vorne an. Regisseur Wnendt kennt sich mit Nazis bestens aus: Sein hoch gelobter Debütfilm „Kriegerin“ spielte unter rechtsradikalen Jugendlichen. Er lässt klugerweise Hitlers Wiederaufstieg ganz sacht beginnen: Erst einmal kriecht der Führer in Lars Rudolphs Kiosk unter und bringt sich mit Tagespresse auf den heutigen Stand.
Offizieller Filmtrailer
Selfies mit dem Führer knipsen
Dort wird er vom erfolglosen Filmemacher Fabian Sawatzki (Fabian Busch) entdeckt; der will mit ihm eine Reportage-Reihe für den Privatsender „my tv“ drehen. Beide reisen im Blumen-Transporter von Sawatzkis Mutter kreuz und quer durch die Bundesrepublik – dabei gedrehte Szenen zählen zu den am meisten bemerkenswerten, die im deutschen Kino der letzten Jahre entstanden sind.
Regisseur Wnendt lässt sein duo infernale auf ganz normale Bürger los – und die meisten freuen sich sichtlich über die Wiederkehr des Führers. Ob die Würstchenbuden-Verkäuferin, Hundezüchter, eine Herrenrunde im Edelrestaurant auf Sylt oder ausgelassene Fußballfans: Alle wollen zumindest ein selfie mit ihm knipsen, und etliche vertrauen ihm ihre Sorgen an. Die vielen Ausländer müsse man endlich rauswerfen, sonst gehe die Reinheit der Rasse verloren; wenn doch bloß endlich jemand durchgreifen würde! Man kennt das.
Karriere-Knick durch Köter-Erschießung
Die Szenen sind dokumentarisch; manche Gesichter wurden verpixelt, und in Bayreuth beschwert sich ein Passant lautstark über solche Geschmacklosigkeit. Doch Zustimmung überwiegt: beste Voraussetzungen für eine Fernsehkarriere bei „my tv“. Hitler bekommt einen Auftritt im comedy-Format „Krass, Alter!“, da die neue Programmchefin Katja Bellini (Katja Riemann) einen Quotenknüller braucht; der Führer begeistert sein Publikum mit Tiraden gegen schwachsinnige Koch-shows, während das deutsche Volk dem Untergang entgegen gehe.
Los geht’s mit dem Medien-hype: Ein talk show-Auftritt jagt den nächsten, social media blogger tippen sich die Finger wund, die BILD-Zeitung berichtet in Balkenlettern. Bis Frank Plasberg bei „Hart aber fair“ einen Video-Schnipsel einspielt, in dem Hitler einen kleinen Hund erschießt. Süße Haustiere abmurksen geht gar nicht; der Wiedergänger wird zur Unperson.
Teigige Bürohengste bei der NPD
Also verlegt er sich auf politische Basisarbeit. Die Schnapsdrosseln im „Deutschen Haus“ zollen ihm aufrichtige Bewunderung. Stramme deutsche Jungs, die seine Leibgarde bilden wollen, sind allerdings nicht fit genug. Und der Besuch in der NPD-Parteizentrale gerät zum Fiasko: Anstelle einer schlagkräftigen Organisation findet Hitler teigige Bürohengste, denen nicht einmal zündende Wahlkampf-Parolen einfallen.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Kriegerin” über rechtsradikale Jugend in Ostdeutschland von David Wnendt
und hier einen Bericht über den Film “Feuchtgebiete” - brillante Verfilmung des Bestsellers von Charlotte Roche von David Wnendt
und hier einen Beitrag über die Nazi-Science-Fiction-Trash-Komödie “Iron Sky” von Timo Vuorensola mit Udo Kier als Hitler-Nachfolger
und hier eine kultiversum-Kritik über den Film "Mein Kampf" von Urs Odermatt nach George Taboris Theaterstück mit Tom Schilling als jungem Hitler.
Spätsowjetische Entpolitisierung
Verblüffend ist vielmehr, wie nahtlos sich dieser Hitler-Doppelgänger in die hochtourig laufende Unterhaltungs-Maschine einfügen lässt. Nicht nur in comedy-Witzeleien – seine Auftritte bei angeblich seriösen Sendungen wie „Hart aber fair“ oder „Thadeusz“ könnten problemlos im Abendprogramm versendet werden. Und natürlich verwandelt er seine Popularität in bare Münze: Hitler schreibt „Er ist wieder da“ und landet einen bestseller.
Politik scheint zum unaufhörlichen Quassel-Marathon auf allen Kanälen mutiert zu sein, mit wöchentlich wechselnden Aufreger-Themen, so brandaktuell wie folgenlos – während die Technokraten der Vierfünftel-Koalition die Staatsverwaltung erledigen; durchaus effizient, aber unter Ausschluss der Öffentlichkeit. Diese spätsowjetisch anmutende Entpolitisierung hat Angela Merkel als gelernte FDJ-Funktionärin mit ihren Küchenkabinetten erfolgreich vorangetrieben.
Heilsbringer aus Österreich
Wobei sie im direkten Rededuell Oliver Masucci wohl hoffnungslos unterlegen wäre. Der Burgtheater-Schauspieler gibt einen fantastischen Führer ab: Schon seine schiere Präsenz flößt Ehrfurcht ein. Unnachahmlich fein dosiert er seine Redegewalt – mit diabolischem Charme gewinnt er alle Sympathien, bevor er mit markigen Worten die Marschrichtung vorgibt. Sollte sich Deutschland einem Diktator unterwerfen, dann bitte Masucci; immerhin kommt er aus Österreich.