Fernando Léon de Aranoa

Allein der Versuch, etwas zu ändern, ist schon heldenhaft

Regisseur Fernando León de Aranoa. Foto: © x-verleih
In "A Perfect Day" beobachtet Fernando León de Aranoa eine Gruppe von Helfern im Krisengebiet beim ganz gewöhnlichen Scheitern. Krieg korrumpiere alles, erklärt der Regisseur: Gegen unlösbare Probleme hülfen nur Humor und Konzentration aufs Nächstliegende.

Señor Aranoa, Sie sagen, das Genre Ihres Films „A Perfect Day“ sei „das Leben“. Wie meinen Sie das?

 

Der Film ist Komödie und Drama zugleich – wie das Leben. Natürlich ist es ein Drama, weil es um Krieg geht; es gibt aber auch lustige Momente. Außerdem ist es ein road movie, das sich über weite Strecken in Autos bei der Suche nach einem Seil abspielt. Dabei erzählt der Film stets vom Krieg und seinen Auswirkungen – ohne Kämpfe oder Schießereien. Alle Beteiligten versuchen, Ordnung ins Chaos zu bringen; jeder auf seine Art. Rationalität stößt an solchen Orten bald an ihre Grenzen.

 

Im Film ist keine Gewalt zu sehen, aber der Zuschauer hat stets das Gefühl, bald könne etwas Schlimmes passieren. War das Ihre Grundidee?

 

Info

 

A Perfect Day

 

Regie: Fernando Léon de Aranoa,

106 Min., Spanien 2015;

mit: Benicio del Toro, Tim Robbins, Mélanie Thierry, Olga Kurylenko

 

Website zum Film

 

Diese Idee verdanke ich meiner Arbeit in solchen Gegenden. Landminen können überall liegen; sie strahlen stets Gefahr aus. Diese Ahnung, dass dauernd etwas Schreckliches passieren könnte, trägt den Film. Das ist Teil des dortigen Alltags. Kämpfe wurden schon in vielen Filmen perfekt inszeniert; das war für mich nicht interessant. Ich bevorzuge einen anderen Blickwinkel: auf Horror und Chaos, die in den Köpfen stecken; diese andere Art von Gewalt ist überall präsent.

 

Krieg verändert Menschen völlig

 

Wie schwierig ist es für Menschen, unter solchen Umständen menschlich zu bleiben?

 

Krieg korrumpiert alles. Nicht nur Brunnen-Wasser, wie in der Anfangsszene des Films, sondern die gesamte menschliche Natur. Verschiedene Interessen prallen aufeinander: Überleben, Furcht, Bürokratie – jeder handelt unterschiedlich. Im Film verschafft sich schon der kleine Junge Vorteile: Indem er sagt, er wisse, wo die Helfer das nötige Seil finden könnten – damit trickst er sie aus. Das macht jeder in solchen Situationen, und jeder hat dafür gute Gründe.

 

Der Film führt vor, wie Krieg Menschen völlig verändert. Ich wollte keine Helden porträtieren, die Opfer aus Flammen retten. Mir geht es darum, zu zeigen, dass auch diejenigen Helden sind, die Probleme nicht lösen können: Es ist verdammt schwer, dort irgendetwas in Ordnung zu bringen. Im Film scheitern alle regelmäßig; das ist realistisch und normal. Allein der Versuch, etwas zu ändern, ist schon heldenhaft: Sie werden zu Helden, weil sie nicht aufgeben.

Offizieller Filmtrailer


 

Missionare, Söldner + Außenseiter

 

Die Akteure im Film wirken wie wurzellose Vagabunden ohne Familien oder Freunde – ist dem so? Was verbindet aus Ihrer Sicht Menschen, die sich bei Hilfsorganisationen engagieren?

 

In Somalia erzählte mir eine Helferin, wie schwierig es in diesem Job ist, Beziehungen zu führen. Sie sprach von den drei „M’s“: missionaries, mercenaries and misfits – also Missionare, Söldner und Außenseiter. Missionare sind diejenigen, die nach der Ankunft sofort helfen wollen, wie Sophie im Film. Söldner sind eher Profis wie Mambrú: Sie machen diesen Job seit 20 Jahren und wissen, was möglich ist und was nicht.

 

Die Außenseiter wie B im Film finden sich nirgendwo sonst zurecht. Sie kennen kein normales Leben mehr, können mit Spaziergängen im Park am Sonntag nichts anfangen und haben keine Freunde, die mit ihnen spazieren gehen würden. Doch diese drei Menschen-Typen eint, dass sie helfen wollen.

 

Über große Tragödien nachdenken wäre sinnlos

 

Welche Fähigkeiten brauchen humanitäre Helfer?

 

Sie müssen Distanz zum Erlebten herstellen können. Das geht mit Humor am leichtesten: Er hilft dabei, Schwierigkeiten beiseite zu schieben und weiter zu machen. Ein Problem wurde gelöst, oder auch nicht: Man muss das nächste Problem angehen. Es wäre sinnlos, über die großen Tragödien der Welt nachzudenken.

 

Es geht darum, Leben zu retten und sich darauf zu konzentrieren. Für mich war wichtig, im Film diese besondere Energie zu vermitteln, die alle Akteure immer weiter antreibt, obwohl schlimme Dinge passieren. Alles, was sie erleben, wird sie irgendwann wieder einholen – aber nicht in dem Moment, in dem sie arbeiten.

 

Tim Robbins ist punk rock

 

Der Film basiert auf dem Tatsachen-Roman „Dejars Llover“ von Paula Farias. Was haben Sie daraus übernommen?

 

Das Buch beginnt – genau wie der Film – mit der Leiche im Brunnen, die da raus soll. Den Mittelteil habe ich stark verändert; im Buch nehmen Gedanken und Erinnerungen der Figuren deutlich mehr Raum ein. Ich habe neue Figuren eingeführt, wie das Kind oder die beiden Frauen. Auch die Suche nach einem Seil, die den Film trägt, stand nicht im Buch; so konnte ich einige action einbauen. Film und Buch laufen auf das gleiche Ende zu, aber auf unterschiedlichen Wegen.

 

Haben Sie Ihre Darsteller mit Biographien ausgestattet?

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "A perfect Day" - Drama von Fernando Léon de Aranoa

 

und hier ein Bericht über den Film "Der serbische Anwalt" - Dokumentation über Karadžić - Prozess von Aleksandar Nikolić

 

und hier einen Bericht über den Film “Djeca – Kinder von Sarajevo – Drama über Kriegswaisen in Bosnien von Aida Begić

 

und hier einen Bericht über den bosnischen Film “Aus dem Leben eines Schrottsammlers” – Sozialstudie von Danis Tanović, prämiert mit dem Großen Preis der Berlinale-Jury 2013

 

Ja, wir haben uns an den drei erwähnten Typen orientiert. Tim Robbins gab ich mit, dass seine Figur, wenn sie Musik wäre, punk rock sei: immer nur action, und manchmal bereit für Albereien. Niemand kann ständig unter Strom stehen, auch nicht als humanitärer Helfer. Ich brachte sie mit echten Helfern zusammen, mit denen ich befreundet bin. Einige von ihnen kamen kurz zuvor aus Syrien zurück nach Spanien. Die Schauspieler sollten das Verrückte an der Sache spüren; es geht nicht immer um Protokolle und Regeln.

 

Den Krieg hinter sich lassen

 

Sie kennen den Balkan, wo der Film angesiedelt ist. Wie denken Sie über die Region?

 

Ich verarbeite im Film Erfahrungen der letzten 20 Jahre. Ich habe einige Dokumentarfilme in Krisenregionen gedreht und war 1995 für eineinhalb Monate auf dem Balkan; das war mitten im Krieg. Um Schauplätze für „A Perfect Day“ zu finden, bin ich nach Herzegowina in die Gegend um Mostar zurückgekehrt, wo damals der Bosnien-Krieg tobte.

 

Ich denke, dieser Krieg ist überwunden. Die Leute sprechen noch darüber und sehen auch künftige Probleme. Das betrifft speziell die Grenzregionen, die früher die Frontgebiete waren. In unserem Film-Team in Spanien kamen Serben, Kroaten und Bosnier zusammen. Sie unterhielten sich über die damaligen Kriegsereignisse, aber sie wollen das hinter sich lassen. Das überrascht mich, denn es sind seitdem erst 20 Jahre vergangen.