Ilinca Calugareanu

Chuck Norris und der Kommunismus

Ein riskantes Geschäft: Schwarzmarkt-Händler Teodor Zamfir (Dan Chiorean, 2. v. li.) bei einer Razzia. Foto: Rise And Shine Cinema, Kev Williams
(Kinostart: 12.11.) Gemeinsames Filme-Ansehen als subversiver Akt: Im Rumänien der 1980er gab es eine große illegale Video-Szene. Die Doku von Regisseurin Calugareanu erinnert liebevoll an diese Heimkino-Ära, lässt aber offen, warum sie unbehelligt blieb.

Mitte der 1980er Jahre lag Rumänien in Agonie. Die Wirtschaftsbetriebe waren am Ende und lange Warteschlangen vor Geschäften an der Tagesordnung. Nur die staatlichen Medien feierten unbeirrt das nationalkommunistische Ceauşescu-Regime. Da kam ein windiger Schwarzmarkt-Händler auf die Idee, VHS- Videokassetten mit Hollywood-Filmen ins Land zu schmuggeln und davon Kopien zu verkaufen.

 

Info

 

Chuck Norris und
der Kommunismus

 

Regie: Ilinca Calugareanu,

80 Min., Rumänien/ Deutschland 2015;

mit: Irina Margareta Nistor, Ana Maria Moldovan, Dan Chiorean

 

Website zum Film

 

Beim ästhetisch ausgehungerten Volk schlug das Geschäftsmodell sofort ein. Mit Videorekordern, die Verwandte im Westen geschenkt hatten oder die ebenfalls eingeschmuggelt worden waren, verwandelten sich ab 1985 normale Wohnzimmer in winzige Kinosäle. Hier kämpften action-Helden wie Chuck Norris oder Jean-Claude van Damme gegen das Böse; zugleich gab es Einblicke ins Leben jenseits des Eisernen Vorhangs, der für die meisten Rumänen undurchdringlich war.

 

Rekorder kostet Kleinwagen-Preis

 

Der Initiator des florierenden Videokassetten-Imports hieß Teodor Zamfir: In wenigen Jahren baute der immer korrekt gekleidete Herr ein landesweites Vertriebsnetz auf – bis zum Sturz Ceauşescus Ende 1989. Neben Filmen lieferte er auch Videorekorder, für die filmbegeisterte oder nur geschäftstüchtige Rumänen den Gegenwert eines Kleinwagens hinblätterten.

Offizieller Filmtrailer


 

Zensoren bannen Lebensmittel von Leinwand

 

Damals war es schick, ins Nachbarschafts-Kino zu gehen; es galt als subversiver Akt. Für viele Zuschauer waren die Filme eine Offenbarung: Oft sahen sie zum ersten Mal, wie es in fremden Ländern zuging. Allerdings sprachen die wenigsten Rumänen genug Englisch, um die Dialoge zu verstehen; deshalb engagierte Zamfir eine junge Frau als voice over-Übersetzerin.

 

Ihr Name Irina Nistor und vor allem ihre Stimme waren bald landesweit bekannt; sie prägten eine ganze Generation von Filmenthusiasten. Ihr selbst war das kaum bewusst: Als angestellte Übersetzerin in der staatlichen Zensurbehörde musste sie täglich mit ansehen, wie dort ausländische Filme aus absurden Gründen verstümmelt wurden. Etwa, weil zu viele Lebensmittel auf der Leinwand den Kontrast zwischen westlichem Überfluss und heimischer Mangelwirtschaft drastisch deutlich machten.

 

Auch Regierungsmitglieder gucken illegal

 

Frau Nistor heuerte bei Herrn Zamfir nicht nur wegen des Nebenverdienstes an, sondern auch, weil sie dadurch alle neuen Hollywood-Filme als erste sehen konnte; mögliche Repressalien durch das Regime schreckten sie nie. Dabei gestaltete sie ihre eingesprochene Simultan-Übersetzung so emotional und abwechslungsreich, dass sie zur informellen Berühmtheit aufstieg; Zehntausende lernten das Weltkino nur mit und durch ihre Stimme kennen.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Erich Mielke – Meister der Angst" – Doku über den Geheimdienst-Chef der DDR von Jens Becker + Maarten van der Duin

 

und hier eine Lobes-Hymne auf den Film ”Police, adjective” – subtile rumänische Geheimdienst-Parabel von Corneliu Porumboiu

 

und hier einen Beitrag über den Film “Ehrenmedaille” – satirische Tragikomödie über einen rumänischen Hochstapler-Rentner von Peter Călin Netzer.

 

Sie dolmetschte im Lauf der Jahre rund 3000 Filme aller Genres, die durch ein landesweites Verteiler-Netz in jeden Winkel des Landes und ebenso an Regierungsmitglieder geliefert wurden. Das dürfte erklären, warum Filmimporteur Zamfir sein Geschäft relativ unbehelligt betreiben konnte. Denkbar wäre auch, dass die Machthaber Hollywood-Produkte als zu trivial einschätzten, um ihnen gefährlich werden zu können. Diesen Fragen geht der Film allerdings nur am Rande nach.

 

Erste Blicke in die weite Welt

 

Stattdessen erzählt er vom abenteuerlichen Video-underground aus der Perspektive von Irina Nistor und ihres Publikums. Das inszeniert Regisseurin Calugareanu als gelungene Mischung aus Video-footage, mit viel Liebe zu Details ausgestatteten Spiel-Szenen und Zeitzeugen-Interviews. Ihre Gesprächspartner aus allen Schichten verbinden nur wärmste Erinnerungen mit den damaligen Filmabenden, als sie quasi erstmals die Welt jenseits der Landesgrenzen kennen lernten.

 

Auch die zentralen Protagonisten Teodor Zamfir und Irina Nistor kommen ausführlich zu Wort und treten am Ende selbst auf. So wird dieser Dokumentarfilm über eine skurrile Episode aus der Endphase des Kalten Krieges zur spannenden Zeit-Geschichte über die Macht von Bildern, die wohl dazu beigetragen haben, das versteinerte Ceauşescu-Regime zu Fall zu bringen.