Pablo Larraín

El Club

Padre Vidal (Alfredo Castro), Padre Ortega (Alejandro Goic), Padre Silva (Jaime Vadell) sind der Club. Foto: Piffl Medien
(Kinostart: 5.11.) Machtkämpfe im Staat im Staate: Ein Rückzugs-Heim für kriminelle Priester in Chile wird zum Schauplatz infamer Intrigen. Für das ausgefeilte Psycho-Drama in malerisch kühlen Bildern erhielt Regisseur Pablo Larraín einen Silbernen Bären 2015.

Der Komiker Groucho Marx hat einst gewitzelt, er würde keinem Verein beitreten, der bereit wäre, ihn aufzunehmen. Das könnten auch die Mitglieder dieses Clubs von sich behaupten: Keiner von ihnen kam freiwillig in ihr schmuckes Vereinsheim, das am Ortsrand eines Dorfes an der nordchilenischen Küste steht.

 

Info

 

El Club

 

Regie: Pablo Larraín,

95 Min., Chile 2015;

mit: Alfredo Castro, Roberto Farías, Marcelo Alonso

 

Website zum Film

 

Padre Vidal (Alfredo Castro) hat Messdiener missbraucht. Padre Ortega hat Neugeborene auf eigene Rechnung zur Adoption freigegeben. Padre Silva war hochrangiger Militär-Kaplan während der Pinochet-Diktatur: Er nahm Generälen die Beichte ab und soll auf Dauer ihre Geheimnisse für sich behalten. Padre Ramírez ist dement: Ihn zu fragen, warum er hier ist, wäre inzwischen zwecklos. Schwester Mónica spielt die treu sorgende Haushälterin, hat aber auch einiges auf dem Kerbholz.

 

Wetten bei Windhund-Rennen

 

Der Club hat feste Regeln: Drei gemeinsame Mahlzeiten, morgens und abends Gebete, mittags wird die Messe gelesen, die übrige Zeit steht zur freien Verfügung. Die Bewohner dürfen das Haus nur allein verlassen und mit keinem Außenstehenden sprechen. Klingt streng, ist es aber nicht: Alle tragen bequeme Freizeitkleidung. Padre Vidal dressiert Windhunde, deren Rennen alle Mitglieder begeistert verfolgen – mit Siegprämien und Wetten verdienen sie hübsche Sümmchen. Und beim Abendessen fließt reichlich Rotwein.

Offizieller Filmtrailer


 

Mauer aus Heuchelei, Intrigen + Zynismus

 

Bis Padre Lazcano auftaucht, gefolgt vom geistig verwirrten Trinker Sandokan (Roberto Farías): Er verkündet lauthals, dass er als Kind von diesem Priester geschändet worden sei. Was der Neuzugang nicht aushält; er erschießt sich vor aller Augen. Nun wird Padre García (Marcelo Alonso) ins Haus geschickt, der den Vorfall aufklären soll. Der gebildete und engagierte Jesuit stößt auf eine Mauer aus Heuchelei, Intrigen und Zynismus.

 

Um eine nahe liegende Vermutung zu zerstreuen: „El Club“ handelt nicht von klerikaler Pädophilie. Regisseur Pablo Larraín will weder aufdecken noch anklagen oder das Leid der Opfer darstellen. Ihn interessieren die Täter: Verdrängen sie ihre Verbrechen, oder gestehen sie sich ihre Schuld ein? Wie gehen sie damit um? Und wie behandelt die katholische Amtskirche ihre Geistlichen, die wegen Verfehlungen ihre Aufgaben nicht mehr ausüben können? Werden sie bestraft – und falls ja, wie?

 

Krähe hackt der anderen kein Auge aus

 

Diesen Fragen nähert sich der Film in Gestalt von Padre García sachte und allmählich. Seine Verhöre fördern Erstaunliches zutage: Padre Vidal schwärmt von „heiligen“ Ekstasen, wenn beim Sex „der Körper explodiert“. Padre Silva kanzelt den Neuankömmling ab, er habe „öfter eine Hostie in der Hand gehalten als Sie ihren Schwanz“. Und Padre Ortega will von Einkehr, Reue und Buße nichts wissen: „Gott ist nicht hier – das ist ein Gefängnis!“

 

Ein recht komfortables: Es mangelt an nichts, und Rom ist weit weg. Als Padre García versucht, die Zügel straffer anzuziehen, bekommt er die Solidarität der Insassen gegen den Eindringling zu spüren. Und als sich die Lage zuspitzt, weil der obdachlose Streuner Sandokan nicht aufhört, Rabatz zu machen, wird deutlich: Kommt es zum Äußersten, sitzen alle Kleriker im selben Boot. Voltaire nannte sie „Krähen“ – die bekanntlich einander kein Auge aushacken.

 

Szenerie nicht ganz von dieser Welt

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Im Namen des..." über die verbotene Liebe eines Priesters von Małgorzata Szumowska

 

und hier einen Bericht über den Film “Kreuzweg” – Milieustudie strenggläubiger Christen von Dietrich Brüggemann, prämiert mit dem Silbernen Bären 2014

 

und hier einen Beitrag über den Film “¡No!” – packendes Polit-Drama über die Absetzung von Diktator Pinochet in Chile von Pablo Larraín.

Diese verschworene Gemeinschaft wider Willen taucht Regisseur Larraín in malerisch kühles Halbdunkel. Er widmet sich nicht nur bevorzugt den blinden Flecken in Chiles Geschichte, sondern wählt auch stets eine dazu passende Bildsprache. Sein letzter Film „¡No!“ (2013) zeichnete die Kampagne 1988 zum Sturz von Pinochet nach – mit den unscharfen Konturen und verwaschenen Farben von Video-Kameras der 1980er Jahre.

 

Diesmal hat Larraín mit sowjetischen Objektiven aus den 1960er Jahren gedreht; dadurch sehen die Bilder körnig und zugleich ein wenig verschwommen aus, als seien sie leicht weichgezeichnet. Außenaufnahmen wirken oft diesig wie in nebligem Dunst – wodurch die Szenerie nicht ganz von dieser Welt zu sein scheint, was auch optisch den Sonderstatus der Akteure veranschaulicht.

 

Nur der Herr darf sie richten

 

Sie beharken einander wie Unterteufel die armen Seelen – mal im salbungsvollen Jargon von Priesterseminaristen, mal mit brachialer Drohung und Erpressung. Ihr verbaler Dauer-Schlagabtausch macht dieses vermeintlich so ruhige Kammerspiel, das bei der Berlinale 2015 mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet wurde, zum ausgefeilten Psychodrama über Machtkämpfe in einem Staat im Staate. Dessen geweihte Funktionäre sich mit allen Mitteln gegen weltliche Gesetze stemmen: Nur der Herr darf sie richten.