So mag man sich das Paradies vorstellen: sanft geschwungene Hügel, soweit das Auge reicht; dahinter verlieren sich mächtige Bergketten in bläulichem Dunst. Warmes Sonnenlicht spielt in unzähligen Schattierungen von Grün: Saftige Wiesen, Buschwerk und kleine Baumgruppen wechseln einander ab – wie in einer endlosen Parkanlage.
Info
Ephraim und das Lamm
Regie: Yared Zeleke,
94 Min., Äthiopien/ Frankreich/ Deutschland 2015;
mit: Rediat Amare, Kidist Siyum, Welela Assefa
Alles hängt vom Regen ab
Ihre Felder sind klein und die Böden karg; die Arbeit mit einfachen Holzpflügen und Ochsen ist mühsam. Der Ertrag hängt ganz von der Niederschlagsmenge ab: Wenn die Regenzeit zu spät beginnt oder zu kurz ausfällt, droht Hunger. Während einer solchen Trockenperiode spielt „Ephraim und das Lamm“: Im Norden Äthiopiens herrscht Dürre, an deren Folgen Ephraims Mama gestorben ist.
Offizieller Filmtrailer
Familien-Spott über Zeitungslektüre
Also bringt sein Vater den Neunjährigen bei Angehörigen im Süden unter, um selbst in der Hauptstadt Addis Abeba nach Arbeit zu suchen. Ephraim (Rediat Amare) wird von seinen Verwandten mit gemischten Gefühlen empfangen. Sein Onkel Solomon hält ihn für einen Schwächling, der eher mit den Frauen am Herd kocht, als auf dem Acker zu schuften. Auch seine Tante Azeb ist vom jungen Neuankömmling wenig begeistert.
Dagegen achtet Großmutter Emama (Welela Assefa) zumindest darauf, dass der Knabe nicht untergebuttert wird. Ihm zeigt Cousine Tsion (Kidist Siyum) anfangs die kalte Schulter; lieber vertieft sie sich in Zeitungslektüre, über die ihre ganze Familie spottet. Später bemerkt die kluge Schülerin, dass sie in dem Jungen einen Verbündeten gegen die Ignoranz der Altvorderen hat – und hilft ihm aus der Klemme.
Lamm wandert auf fettere Weiden ab
Von seinem Vater zurückgelassen und fern der Heimat, findet Ephraim nur bei seinem Lamm Chuni Trost; beide sind unzertrennlich. Umso entsetzter ist er, als Onkel Solomon von ihm verlangt, das Lamm am Fest des Heiligen Kreuzes zu schlachten. Nun unternimmt Ephraim alles, um Chuni zu retten: Er backt Samosa-Teigtaschen nach Mutters Rezept und verkauft sie auf dem Markt – doch seine Einnahmen knöpft man ihm ab.
Mit Tsions Hilfe gibt er das Lamm in die Obhut eines Schäfers, aber das hilft nur kurzfristig. Als seine Cousine vor ihrem hartleibigen Vater in die Hauptstadt flieht, um dort zu studieren, bleibt Ephraim auf der Strecke. Zudem wendet sich sogar Chuni von ihm ab – angelockt von fetten Weiden und der Fürsorge einer einsamen Schäferin.
Vier Jahrzehnte lang Umwälzungs-Opfer
So widerfährt ihm ein Verlust nach dem anderen: Mutter, Heimat, Vater, Geld, schließlich sein geliebtes Haustier – alles, was Ephraim viel bedeutet, wird ihm weggenommen. Darin spiegeln sich Verlusterfahrungen sowohl des Regisseurs Yared Zeleke, der als Zehnjähriger in die USA auswandern musste, als auch die der äthiopischen Gesellschaft insgesamt.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
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und hier einen Bericht über den Film “Der Fluss war einst ein Mensch” – beeindruckendes Psycho-Drama über eine Odyssee in Afrikas Wildnis von Jan Zabeil
und hier einen kultiversum-Bericht über den Film “Morgentau – Teza” – komplexes Biopic über einen Exilanten aus Äthiopien von Haile Gerima.
Tour d’horizon über Afrikas Dach
Offene Kritik daran würde der Staat sofort unterbinden. Also verpackt Regisseur Zeleke sie dezent als Fabel vom kleinen Hiob, der sich am Ende mit allen Schicksalsschlägen zu arrangieren weiß. In farbenfroher Ausstattung, die den Film trotz begrenzter Fähigkeiten seiner Laiendarsteller zum Augenschmaus macht: mit facettenreichen Einblicken in authentisches Landleben, das sich seit Jahrhunderten kaum verändert hat.
Kochkünste und Markttreiben, koptische Religions-Riten und Familienfeste – all das kommt ausgiebig vor, ohne je in kitschige Ethno-Folklore abzugleiten. Und alles spielt sich vor der atemberaubenden Kulisse der Bale Mountains und ihrer unberührten Urwälder ab, in denen Ephraim ausgiebig herumstreift. Obwohl die Hauptfigur minderjährig ist, richtet sich der Film keineswegs nur an ein jugendliches Publikum: Er bietet eine tour d’horizon für alle, die wissen wollen, wie es auf dem Dach Afrikas zugeht.