André Schäfer

Herr von Bohlen

Arndt von Bohlen (Arnd Klawitter). Foto: Edition Salzgeber
(Kinostart: 19.11.) Acht Martinis vor dem Mittagessen: Arndt von Bohlen und Halbach war einer der schillerndsten deutschen Playboys – schwerreich, weltläufig und schwul. Die Doku von André Schäfer will ihn würdigen, zerfasert aber in konfusen Anekdoten.

Vor 40 Jahren kannte jedes Kind seinen Namen: Arndt von Bohlen und Halbach war ein Liebling der deutschen Boulevardpresse. Paparazzi knipsten dauernd seine Paradiesvogel-outfits, Klatschmäuler lästerten ständig über seinen Lebenswandel. Arndt von Bohlen war alles, was brave Bundesbürger nicht waren: schwerreich, kosmopolitisch, extravagant gekleidet und geschminkt, außerdem offen schwul – the man they loved to hate.

 

Info

 

Herr von Bohlen

 

Regie: André Schäfer,

90 Min., Deitschland 2015;

mit: Arnd Klawitter, Arne Gottschling, Christian Birko-Flemming

 

 Website zum Film

 

Nach seinem frühen Tod 1986 – er starb mit nur 48 Jahren an Krebs – geriet er rasch in Vergessenheit; der Lebensstil klassischer playboys wurde zum Auslaufmodell. Nun will ihn Filmemacher André Schäfer in Erinnerung rufen: mit einer wilden Mischung aus Doku-Material, Zeitzeugen-Interviews und Spiel-Szenen, in denen Arnd Klawitter den schillernden Industriellen-Erben mimt.

 

Witwe schweigt, Begleiter dto.

 

Dabei muss Schäfer aber auf einiges verzichten. In der Villa Hügel in Essen, dem Stammsitz der Krupp-Dynastie, durfte er offenbar nicht drehen. Witwe Henriette „Hetti“ von Bohlen und Halbach fehlt gleichfalls: Die 82-Jährige aus altem österreichischem Adel, die 1969 mit Arndt eine „Vernunftehe“ schloss, zog es vor zu schweigen – ebenso viele Begleiter aus seiner weitläufigen entourage zu Lebzeiten.

Offizieller Filmtrailer


 

Nachlassverwalter verfranst im Vermögen

 

Also begnügt sich der Regisseur mit Zaungästen der zweiten und dritten Reihe: dem Porträt-Maler Matthias Waske, dem Gesellschaftsreporter Michael Graeter, der noch am anschaulichsten zu parlieren weiß, oder einem Ehepaar Stollberg; in ihrem Münchener Restaurant „Grüne Gans“ kehrte Arndt von Bohlen öfter ein. Besonders ausführlich kommt sein Nachlassverwalter Holger Lippert zu Wort, der seinen Auftritt im Scheinwerferlicht sichtlich auskostet.

 

Er verfranst sich völlig in verwickelten Vermögensverhältnissen, und Schäfer lässt ihn palavern. Was das Presseheft oder selbst der Wikipedia-Eintrag zu Bohlen in wenigen Sätzen klarstellen, kann der Film in mehreren Anläufen nicht deutlich machen. 1966/67 wurde der Krupp-Konzern in eine AG umgewandelt, deren Vermögen auf eine Stiftung überging. Dafür musste Arndt von Bohlen auf sein Erbe verzichten, wozu ihn der künftige Stiftungs-Chef Berthold Beitz überredete: Er blieb bis 2013 der starke Mann im ThyssenKrupp-Konzern.

 

Jede Abi-Fete ist glanzvoller

 

Wie Beitz von Bohlen über den Tisch zog, bleibt offen. Stattdessen erfährt man, dass der „reichste Frührentner Deutschlands“ eher ein armer Schlucker war: Den Unterhalt seiner zahlreichen Schlösser und Liegenschaften konnte er sich dauerhaft nicht leisten. Seine jährliche apanage von zwei Millionen D-Mark schwankte erheblich, zudem nervte das Finanzamt mit Steuerforderungen.

 

Kein Wunder, dass der ausgebootete Industriekapitän fortan mit wechselnden Gespielen in Sylt oder Marrakesch Dauer-party mit Drinks und Drogen zelebrierte. Nachgestellte Szenen am Vorgarten-pool und in der Hafenkneipe geraten allerdings so mickrig und trostlos, dass man sich fragt, ob es eher an Depressionen des Gastgebers oder am begrenzten Budget liegt; jede Abi-Fete ist glanzvoller und ausschweifender.

 

Wovon will der Film eigentlich erzählen?

 

Vielleicht haben sich Regisseur Schäfer und Darsteller Klawitter einfach wie ihre Hauptfigur gern acht Martinis vor dem Mittagessen gegönnt: Zaudernd und fahrig trägt Klawitter etliche Sentenzen vor, die von Bohlen so ähnlich gesagt hat oder haben könnte. Wobei das Duo diverse Orte abklappert, die in seinem Leben eine gewisse Rolle spielten – aber welche, bleibt häufig nebulös.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "The Big Eden" – Doku über Deutschlands letzten Playboy Rolf Eden von Peter Dörfler

 

und hier einen Bericht über den Film “The Look of Love” – grandioses Biopic über Englands reichsten Playboy von Michael Winterbottom

 

und hier einen Beitrag über den Film “Liberace – Zu viel des Guten ist wundervoll” – brillantes Biopic über den schwulen US-Entertainer von Steven Soderbergh mit Michael Douglas

 

und hier eine Kritik des Films "Ludwig II." – Biopic des schwulen bayerischen Märchenkönigs von Peter Sehr + Marie Noëlle.

 

Je länger dieser Doku-Drama-Bastard vor sich hin schlingert, desto unklarer wird, wovon Filmemacher Schäfer eigentlich erzählen will: von der Entstehung des Krupp-Imperiums und seiner Verstrickung ins NS-Regime? Von Machthunger und Gefühlskälte in der Krupp-Dynastie? Von der Fremdheit zwischen Vater Alfried und Sohn Arndt? Vom komfortablen Fluch, im goldenen Käfig aufzuwachsen? Vom Erbverzicht als Selbstbefreiungs-Schlag, der sich als einer ins Wasser entpuppte? Oder vom Sittenbild eines Vorkämpfers von gay pride in der verklemmten Nachkriegs-Bundesrepublik?

 

Zerschnitten wie Michael Jackson

 

Allerlei wird angetippt, fallengelassen und bald wieder hervorgeholt, wie bei party-Geplauder üblich. Manches wird ausgewalzt, etwa von Bohlens make up-Rituale – obwohl die in der androgynen pop culture von hippie style und glam rock nicht allzu exzentrisch gewirkt haben. Dagegen wird Offensichtliches ausgespart: Auf Archiv-Aufnahmen sieht von Bohlen schwer entstellt aus. Erst kurz vor Schluss erwähnt Maler Waske, dass er zu oft Schönheitschirurgen an sich herumschneiden ließ – ein plastic surgery disaster wie Michael Jackson.

 

Vom King of Pop unterscheidet von Bohlen, dass er schon halb vergessen und fast ruiniert war, als er starb. Er hatte sich „ausgeglitzert“, wie der Film in einer seiner wenigen originellen Wendungen feststellt; was er prompt drei Mal wiederholt. So lässt sich the golden age of jet set kaum heraufbeschwören. Man könnte es mit Bohlens Bruder im Geiste Gunter Sachs (1932-2011) versuchen: Der war zwar hetero, aber auch schräg drauf – und viel talentierter.