Berlin + Münster

Homosexualität_en

Die "Mösen in Bewegung" auf ihrem "Mösenmobil" am Christopher Street Day in Berlin, 1998. Foto und © Kristina Strauß. Fotoquelle: Schwules Museum Berlin
Die ganze Bewegung soll es sein: Erstmals seit 34 Jahren ist sexuellen Minderheiten eine Doppel-Ausstellung gewidmet. Das Deutsche Historische Museum ignoriert Fragen der Hetero-Mehrheit; das Schwule Museum zeigt explizite Kunst zu Geschlechter-Themen.

Die Schwullesbische Bewegung hat es geschafft. Sie ist mitten in der Gesellschaft angekommen, wofür diese Ausstellung das beste Beispiel abgibt: im Deutschen Historischen Museum (DHM), im traditionellen und geographischen Zentrum der Hauptstadt. Von den Kulturstiftungen des Bundes und der Länder gefördert, von Kulturstaatsministerin Monika Grütters ausdrücklich begrüßt: mehr offizielle Anerkennung geht nicht.

 

Info

 

Homosexualität_en

 

26.06.2015 - 01.12.2015

täglich 10 bis 18 Uhr

im Deutschen Historischen Museum, Unter den Linden 2, Berlin

 

Katalog 25 €

 

Weitere Informationen

 

täglich außer dienstags

14 bis 18 Uhr,

samstags bis 19 Uhr,

donnerstags bis 20 Uhr

im Schwulen Museum, Lützowstraße 73, Berlin

 

Weitere Informationen

 

13.05.2016 – 04.09.2016

täglich außer montags

10 bis 18 Uhr

im LWL-Museum für Kunst und Kultur, Domplatz 10, Münster

 

Weitere Informationen

 

Ebenso von Wirtschaft und Zivilgesellschaft: Wenn alljährlich bei CSD-Paraden Zehntausende für Gleichberechtigung demonstrieren, schicken nicht nur alle Parteien, sondern auch Konzerne wie Siemens und Deutsche Bank große Party-Wagen auf die Piste. Deren Mitfahrer ähneln zwar eher braven Azubis als verwegenen Lederkerlen oder Tunten, aber warum nicht: Auch Spießer sind schwul oder lesbisch. Und jeder Bundesliga-Verein, der etwas auf sich hält, fördert Initiativen gegen Homophobie im Sport.

 

Unübersehbare Überfülle

 

Da liegt es nahe, dass die DHM-Schau, die ab Mai 2016 in Münster zu sehen sein wird, eine Bilanz des Erreichten ziehen will: auf zwei Etagen in sieben Abteilungen von wechselnder Qualität, mit einer unübersehbaren Überfülle von Exponaten. Denn es gibt viel zu sagen; laut Veranstalter ist diese Ausstellung bundesweit die erste über sexuelle Minderheiten seit 34 Jahren.

 

Sie firmieren mittlerweile politisch korrekt als LGBTIQ; die Abkürzung steht für lesbisch, gay/schwul, bisexuell, transident, intersexuell und queer. Mit der Definition und Bedeutung der drei letzten Adjektive beschäftigen sich akademische Disziplinen wie gender theory und queer theory, deren Debatten für Außenstehende schwer verständlich sind. Wie viele Wünsche und Forderungen aus dieser community die Kuratoren unter einen Hut bringen mussten, mag man sich gar nicht vorstellen; dass die Schau überhaupt zustande gekommen ist, erscheint als kleines Wunder.

Impressionen der Ausstellung im Deutschen Historischen Museum


 

Dröhnung treudeutscher Sammelwut

 

Dieses patchwork der Minderheiten dürfte erklären, warum die einzelnen Abteilungen so unterschiedlich ausfallen, als seien sie verschiedene Ausstellungen. Der Rundgang beginnt mit einem Rückblick auf die vergangenen 150 Jahre. Gemälde und Fotos porträtieren prominente Lesben wie die Malerin Lotte Laserstein, die Sängerin Claire Waldoff oder das Literatinnen-Paar Gertrude Stein und Alice B. Toklas.

 

Daran schließt ein Panoptikum homoerotischer Kunst an: von drastischer Jugendstil-Grafik mit riesigen Phalli über schwarzweiße Akt-Aufnahmen seit 1900 bis zu verspielten soft core-Farbfotos aus den 1970er Jahren. Nach diesem anschaulichen entrée folgt die volle Dröhnung treudeutscher Sammelwut: eine Art enzyklopädisches Präsenz-Archiv, das alle Aspekte der Bewegung alphabetisch durchbuchstabiert.

Interview mit Kuratorin Dorothée Brill + Impressionen der Ausstellung im Schwulen Museum


 

Kulturell konstruierte Geschlechter-Einteilung

 

An Gitter-Elementen wie in Depots hängen Hunderte von Objekten: Bücher, Hefte, Fotos, Plakate, Plattenhüllen, Kostüme und Dildos – all das Strandgut, das in einer sozialen Bewegung mit unzähligen Aktivisten im Laufe der Jahrzehnte so anfällt. Vom „Adefra“-Netzwerk schwarzer Frauen über die Kölner Karnevals-Garde „Rosa Funken“ bis zur „Yachad“-Gruppe für jüdische Homosexuelle dürfen sich alle wiederfinden. In diesem Memorabilia-Dschungel müssen Heteros nach interessanten Informationen mühsam suchen.

 

Wie auch im Abschnitt „In der Matrix“; hier ziehen gender– und queer-Theoretiker_innen vom Leder. Anstatt einen bündigen Abriss der Sexualwissenschaft samt Irrlehren und Stand der Forschung zu präsentieren, breiten sie allerlei Trouvaillen aus, deren Stellenwert trotz langer Erklärtexte kaum deutlich wird. Irgendwie sollen sie belegen, dass die „heteronormative“ Einteilung in zwei Geschlechter kulturell konstruiert ist und diverse Zwischenstufen existieren – doch wie und warum, vermag allenfalls der Katalog zu erläutern.

 

Kaum ein Wort zu Homophobie

 

Genauso textlastig gerät die Abteilung zum rechtlichen Status von Homosexualität: die ganze Welt von juristischer Diskriminierung und Liberalisierung in einem Raum. Dagegen würde man sich an anderer Stelle mehr Fakten wünschen: Die Sektion zu Homophobie beschränkt sich auf eine Klangcollage von Schmähungen und eine Fotogalerie betroffener Afrikaner. Abgesehen von dürftigen Hinweisen auf Bibelstellen kein Wort zu Ursachen, Motiven und Mustern der Hetze gegen Homosexuelle – als sei den Kuratoren das Sujet zu schmuddelig.