Peter Greenaway

In Berlin ging Eisenstein sofort in Sex-Shops

Peter Greenaway in Feldherren-Pose. Foto: © Salzgeber & Co. Medien GmbH
Das schwule Coming Out von Sergej Eisenstein in Mexiko ist keine zweitrangige Episode, sondern zentral zum Verständnis seiner Person, versichert Peter Greenaway: Deshalb rücke er es in den Mittelpunkt seines Biopics "Eisenstein in Guanajuato".

Schauspieler haben Probleme mit Schwänzen

 

Wie haben Sie ihren Hauptdarsteller Elmer Bäck gefunden, einen Finnen schwedischer Nationalität?

 

Ich verbrachte 18 Monate damit, nach dem Schauspieler für Eisensteins Rolle zu suchen. Idealerweise sollte ihn ein russischer Schauspieler verkörpern; bei castings gab es lange Schlangen von Aspiranten. Leider sprechen wenige russische Schauspieler Englisch, noch weniger gutes Englisch. Doch Eisenstein war ein Hyper-Intellektueller, der fünf Sprachen fließend beherrschte und nie aufhörte, zu reden.

 

Er stand stets im Zentrum; wenn er an der Pariser Sorbonne auftrat, brachte er mit seinen Witzen alle französischen Studenten zum Lachen. Er war einfach ein Kommunikations-Genie – und ich versuchte, jemanden zu finden, der das glaubwürdig darstellen könne. Dazu sagte ich den Kandidaten: „Ich brauche Eure Seele, Euren Körper, Euer Hirn und Euren Schwanz“ – letzteres war für viele ein Problem. Bis ich Elmer Bäck fand, der seine Sache sehr gut macht.

 

Sie wurden in den 1980er Jahren als Prophet eines postmodernen Kinos gefeiert. Sehen Sie sich als Eisensteins Nachfolger im Geiste?

 

Das wäre natürlich völlig vermessen – aber es würde auch ein Lächeln auf meine Lippen zaubern.

"Que viva México!" in der Schnittfassung von Grigori Alexandrow, 1979 (85 min., mit Texten von Eisenstein auf Italienisch)


 

Nur fünf Prozent aller Filme laufen im Kino

 

Ihre Filme waren in den 1980er Jahren beim hiesigen Autorenkino-Publikum sehr populär. „Das Baby von Mâcon“ von 1993 war ihr letzter Film, der ins Kino kam; „The Pillow Book“ erschien 1996 nur auf DVD. Danach traten Sie hierzulande nur mit Opern-Inszenierungen und Video-Installationen in Erscheinung. Warum haben Sie keine Kinofilme mehr gedreht?

 

Die Antwort auf diese Frage ist recht kompliziert. Das Kino desillusionierte mich – bis heute. Sein Niedergang hält an: Nur fünf Prozent aller Filme werden im Kino angesehen. Digitale Geräte haben das Medium demokratisiert; in gewisser Weise werden wir alle zu Filmemachern.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Eisenstein in Guanajuato" von Peter Greenaway

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Gehorsam" als "Eine Installation in 15 Räumen von Saskia Boddeke & Peter Greenaway" im Jüdischen Museum, Berlin

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellungen "Russische Avantgarde-Kunst" + "Rodtschenko – Fotografien" im Museum dkw, Cottbus, sowie "SchriftBild – Russische Avantgarde" im Deutschen Buch- und Schriftmuseum, Leipzig.

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Schwestern der Revolution" über "Künstlerinnen der Russischen Avantgarde" im Wilhelm-Hack-Museum, Ludwigshafen am Rhein.

 

Doch unser Kino basiert immer noch auf Texten. Ich denke, dass die digitale Revolution das ändert und völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Und ich hoffe, dass ich einen Film gemacht habe, der vor Lebensfreude strahlt – auch wenn es um eine Liebesgeschichte geht, die traurig endet.

 

Film als Akt höherer Gerechtigkeit

 

Dieser Film ist auch eine Art Hommage an Eisenstein: Ihm war ja nicht vergönnt, das in Mexiko gedrehte Material zu schneiden – mit seiner einzigartigen Sensibilität als Regisseur. Ohne seine filmische Intelligenz vermittelt das Rohmaterial kaum einen Eindruck davon, was ihm vorgeschwebt haben mag. Also kann man meinen Film als einen Akt höherer Gerechtigkeit betrachten: Wir machen einen Film über Sie, Herr Eisenstein – und wir werden ihn so unglaublich präzise und effektvoll schneiden, wie Sie es vielleicht getan hätten.

 

Ich habe Putins Hand geschüttelt

 

Verübelt man Ihnen in Russland, dass Sie den Nationalhelden Eisenstein als Homosexuellen outen?

 

Die Ironie an der Sache ist: Die Russen haben mich beauftragt, einen Film über die Wolga zu drehen. Ich habe Putins Hand geschüttelt; das Drehbuch ist fast fertig. Der Hintergrund ist: Mein Film „Der Koch, der Dieb, seine Frau und ihr Liebhaber“ von 1989 war in der Sowjetunion sehr populär. Er kam dort während der Gorbatschow-Ära heraus und wurde als Parabel gedeutet, was geschehen werde, wenn der Kapitalismus Einzug halte: eine Flut von Vulgarität, Verrohung, Kriminalität und Korruption. Alle diese Vorahnungen sind eingetreten: Unfassbar korrupte Oligarchen betreiben das „Restaurant Russland“.