Dieser Straßenname klingt mysteriös und aufregend: „Raketenstation Hombroich 1“ lautet die offizielle Adresse der Langen Foundation am westlichen Stadtrand von Neuss. Hier legte die NATO ab 1967 eine Stellung für Nike-Luftabwehrraketen an; sie wurden 1988 demontiert, die Station zwei Jahre später geschlossen.
Info
Olafur Eliasson: Werke aus der Sammlung Boros 1994–2015
18.04.2015 - 21.02.2016
täglich 10 bis 18 Uhr
in der Langen Foundation, Raketenstation Hombroich 1, Neuss
Katalog 39,90 €
Sichtbeton-Bau von Tadao Ando
Nach diesem Muster gestaltete Müller auch die Raketenstation mit weiträumig verteilten Bauten um. Den größten Platz nimmt seit 2004 das Ausstellungs-Gebäude der Langen Foundation ein. Der renommierte Sichtbeton-Architekt Tadao Ando aus Japan entwarf es für die Kollektion des Düsseldorfer Unternehmer-Ehepaars Viktor und Marianne Langen.
Impressionen der Ausstellung
High tech-Kunstdorf der rheinischen Sammler-Szene
Davon sieht man so gut wie nichts, wenn man sich auf der Landstraße dem Gelände nähert. Das „Museum Insel Hombroich“ versteckt sich hinter Baumgruppen, die Raketenstation hinter Feldern und einem Bahndamm. Plötzlich tauchen drei rote Backstein-Klötze nach Plänen des Dänen Per Kirkeby auf, dahinter eine Baustelle; hier entsteht ein Schaulager für den Düsseldorfer Bildhauer Thomas Schütte.
Gegenüber ragt eine massige Beton-Stele von Eduardo Chillida empor. Sie verstellt fast den Eingang zur Langen Foundation: Hinter Mauern und begrünten Erdwällen ducken sich zwei langgestreckte Trakte. In diesem high tech-Kunstdorf kommt alles zusammen, was die rheinische Sammler-Szene ausmacht: immenser Reichtum und erlesener Geschmack, gepaart mit ausgeprägtem und kreativem Selbstdarstellungs-Willen.
Boros‘ Kunst in trutzigem Beton-Bunker
Man heckt gemeinsam etwas aus und legt eine Insel der Seligen an; in dieser Idylle lässt sich, für die Mitwelt kaum sichtbar, nach Gutdünken schalten und walten. Nur Eingeweihte finden hierher; dann werden sie so professionell empfangen wie in öffentlichen Einrichtungen. Das Privatmuseum als abgeschotteter Außenposten, diskret in die Landschaft eingepasst: ein geeigneterer Rahmen für die Arbeiten von Olafur Eliasson lässt sich kaum denken.
Hier zeigt Christian Boros 36 Werke aus seiner Sammlung. Er zählt zum Umfeld dieser Szene, hat in Wuppertal studiert, betreibt eine Werbeagentur und kauft im großen Stil Gegenwarts-Kunst. Seit 2003 deponiert er sie in einem früheren Luftschutzbunker in der Berliner Reinhardtstraße, der nach Anmeldung besichtigt werden kann. Doch in diesem trutzigen Beton-Klotz ohne Tageslicht kommt Eliassons ätherischer Kunst-Kosmos kaum zur Geltung; da liegt die Kooperation mit der Langen Foundation nahe.
Kunst-Fabrik mit mehr als 50 Beschäftigten
Boros wurde früh auf Eliasson aufmerksam und besitzt Werke aus zwei Jahrzehnten; angefangen mit dem „Guckkasten“ von 1994, als der Isländer noch studierte. Kurz darauf zog er nach Berlin; rasch stellte sich Erfolg ein. Spätestens mit der künstlichen Sonne von „The weather project“ in der Londoner Tate Modern Gallery wurde er 2003 zum gefeierten Großkünstler; für ihn begeistern sich viele, die ansonsten zeitgenössischer Kunst eher ratlos gegenüberstehen.
Ihnen macht es Eliasson leicht: mit eingängigen Inhalten und semi-industrieller Arbeitsweise. In seinem Studio beschäftigt er mehr als 50 Personen, die nicht nur Objekte nach seinen Vorgaben anfertigen, sondern sich auch um die Vermarktung kümmern: vom Foto-Material über Katalog-Erstellung bis zur Ausstellungs-Organisation. Eine Kunst-Manufaktur wie weiland Andy Warhols Factory oder die Unternehmen von Damien Hirst und Jeff Koons.
Vier künstliche Wasserfälle in New York
So lassen sich mega events wie die „New York City Waterfalls“ bewältigen: 2008 installierte Eliasson in Manhattan vier künstliche Wasserfälle. Oder „Your rainbow panorama“: 2011 illuminierte er das verglaste Dachgeschoss des Aarhus Kunstmuseums in allen Regenbogenfarben. Inwieweit solche Spektakel etwas mit Kunst zu tun haben, ist umstritten; manche halten sie für multimedia shows zu Natur-Phänomenen wie in Freizeitparks.
Derartige Mammut-Inszenierungen lassen sich im vergleichsweise intimen Rahmen der Langen Foundation kaum realisieren. Zwar leuchtet „Room for all colours“ (1999) einen langgezogenen Rampen-Raum mit wechselnden Farben aus, doch der Effekt wirkt banal – und die dort hängende „Berlin colour sphere“ von 2006 wie eine handelsübliche disco-Kugel.
Schnelldurchgang durch zwei Jahrzehnte
Eher sind es kleinformatige Exponate, die in den schmalen Gängen und weiten Hallen ihre Wirkung entfalten. Etwa radial geschliffene Stehlampen, die mit ihrem Strahlen die Raum-Grenzen markieren, oder die Aufnahmen von „The Glacier Series“: 1999 fotografierte Eliasson in Island dahinschmelzende Gletscherzungen und ordnete sie zu großflächigen Bilder-Mosaiken an. Sein memento zum Klimawandel ergibt zugleich ein subtiles patchwork abstrakt anmutender Grafiken.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Olafur Eliasson: Volcanoes and Shelters" in der Galerie neugerriemschneider, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "ZERO – Die internationale Kunstbewegung der 50er und 60er Jahre" als Begründerin von Op-Art + kinetischer Kunst im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Attila Csörgö: Der archimedische Punkt" über den ungarischen Lichtobjekt-Tüftler in der Hamburger Kunsthalle
und hier einen kultiversum-Beitrag über die Ausstellung "Innen Stadt Außen" - große Werkschau von Olafur Eliasson im Martin-Gropius-Bau, Berlin.
Experimente aus Physik-Lehrbuch
Natürlich greifen sie immer wieder dieselben Themen auf wie visuelle Effekte, Lichterspiel und Übertragung von Natur in Kunst. Doch es sind die gleichen Sujets, die jedes Physik-Lehrbuch behandelt, als bebildere Eliasson nur klassische optische Experimente – ein Farbkreis bleibt stets ein Farbkreis, ob er aus der Hand des Meisters oder von Adobe Photoshop stammt.
Man vermisst die individuelle Handschrift, die Singularität verleiht. Eliassons Ansatz, der so stark subjektive Wahrnehmung betont, entpuppt sich paradoxerweise als streng mechanisches Verfahren, bei dem rational kalkulierte Parameter erwartbare Ergebnisse zeitigen.
Wie ZERO vor 50 Jahren
Die mögen dem Auge schmeicheln wie jedes Naturschauspiel – wen das beeindruckt, der ignoriert, dass schon die ZERO-Künstler vor einem halben Jahrhundert solche Cinetic und Op-Art schufen. Doch unsere geschichtsvergessene Jetztzeit glaubt gern, sie erlebe alles zum ersten Mal.