Berlin

Piet Mondrian – Die Linie

Piet Mondrian (1872 – 1944): Bäume am Gein: aufgehender Mond, 1907, Öl auf Leinwand, © Gemeentemuseum Den Haag, Niederlande. Fotoquelle: MGB, Berlin
Es war die Linie, nicht die Farbe: Der Martin-Gropius-Bau will zeigen, wie Piet Mondrian zu seinen radikal abstrakten Bildern aus Geraden und Farbfeldern fand. Die Argumentation wirkt überzeugend – unterschlägt aber sein swingendes Spätwerk.

Senkrechte und waagrechte Linien plus Primärfarbfelder – mehr nicht: Kein Maler trieb die Abstraktion so weit wie der Niederländer Piet Mondrian (1872-1944). Nun präsentiert der Martin-Gropius-Bau seine erste Werkschau in Berlin seit 1968, doch keine umfassende Retrospektive: Die rund 50 gezeigten Werke decken nur die Schaffensperiode von den 1890er Jahren bis Anfang der 1920er Jahre ab.

 

Info

 

Piet Mondrian - Die Linie

 

04.09.2015 - 06.12.2015

täglich außer dienstags

10 bis 19 Uhr

im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Berlin

 

Katalog 25 €

 

Weitere Informationen

 

Fast alle Exponate sind Leihgaben des Gemeentemuseum in Den Haag; es besitzt die weltgrößte Mondrian-Kollektion. Mit ihnen will Kurator Hans Janssen seine kunsthistorische These aufzeigen und belegen: Durch seine Verwendung der Linie habe sich Mondrians Werk zur Abstraktion entwickelt.

 

Linie befreit Farbe

 

Die Ausstellung zeichnet sich durch analytische Präzision mit knappen und klaren Erläuterungstexten aus; allerdings darf man keinen Überblick über Mondrians Gesamtwerk erwarten. „Es war die Linie, die die Farbe befreit hat“, lautet Janssens These, die den Besucher mit einer gewissen Monotonie begleitet.

Impressionen der Ausstellung


 

Vorlagen für YSL-Kleider in 1960ern

 

Das klingt für Laien nicht überraschend. Alle bekannten Bilder einschließlich der Vorlagen für die berühmten Mondrian-Kleider, die Yves Saint-Laurent in den 1960er Jahren entwarf, bestehen praktisch nur aus Linien und Farbfeldern: Beide sind Markenzeichen seines Spätwerks ab 1919 mit hohem Wiedererkennungs-Wert.

 

Dagegen war Mondrian selbst durchaus der Meinung, seine eigene Entwicklung von einer erst realistisch, dann impressionistisch geprägten Malerei hin zur Abstraktion habe sich mithilfe der Farben abgespielt oder zumindest bei ihnen begonnen. „Das erste Element meiner Bilder, das Veränderung erfuhr, war die Farbe“, schrieb er 1941, drei Jahre vor seinem Tod.

 

Esoterische Geheimlehren

 

Wie sich seine Malweise allmählich von den dominanten Schulen des 19. Jahrhunderts löste, zeigt in der Ausstellung anschaulich etwa das Gemälde „Bäume am Gein“ von 1907. Die Farben haben kaum noch darstellende Funktion: Sie werden selbst zum Gegenstand des Bildes, während die Linienführung bereits die Rigidität der späteren Bilder andeuten.

 

Zugleich spielt Mondrians Neigung zur esoterischen Geheimlehre der Theosophie hinein, indem er allen Farben gewisse Bedeutungen beimisst. Später wird er sich auf die Primärfarben konzentrieren, weil er sie mit dem Anthroposophie-Vordenker Rudolf Steiner als Ausdruck des Geistigen, Seelischen und Lebendigen ansieht.

 

Eigene Version der Kubismus

 

Obwohl Mondrian seine Werke aus dieser Zeit für realistisch erklärt, ist seine Absicht im ersten Jahrzehnt des 20. Jahrhundert eigentlich eine romantische: das Wesen der Natur, die er mit den Theosophen für beseelt hält, durch eine andere Art von Tiefe zum Ausdruck zu bringen als der perspektivischen. Diese lebendige Flächigkeit zeigt sich eindrucksvoll in Werken wie „Abend“ von 1906. Mondrian sucht also nach Spuren einer Weltseele in den Dingen, während er bereits daran arbeitet, das Figurative aus seinen Gemälden verschwinden zu lassen.

 

1912 zieht Mondrian nach Paris und entwickelt dort seine eigene Variante des Kubismus: Er zerlegt Gegenstände in ihre grundlegenden Formen, ohne dabei – wie etwa Picasso und Braque – die simultane Darstellung mehrerer Perspektiven anzustreben. Das wird deutlich am Motiv des Baumes; es kam bereits früher in seinen Naturstudien häufig vor. Mondrian behält es bei, um es immer stärker zu abstrahieren und in eine Rasterstruktur zu zerlegen.

 

Missverständliche Gestaltung

 

1917 schließt sich Mondrian der von Theo van Doesburg gegründeten Gruppe „De Stijl“ an. Nun veröffentlicht er kunsttheoretische Schriften, in denen er von „nieuwe Beelding“ spricht, was auf Deutsch als „neue Gestaltung“ übersetzt wird. Der ebenfalls von ihm verwendete Ausdruck „Neoplastizismus“ kann leicht falsche Assoziationen erwecken.

 

Mondrian betrachtet „Gestaltung“ weniger als plastisch-räumlich im herkömmlichen Sine, sondern als Ableitung von bestimmten Regeln, die er für universal hält. Für ihn drücken gerade Linien und rechte Winkel die unverrückbare Wahrheit des Geistigen aus, während farbige Flächen und Rhythmen das Natürliche und Veränderliche symbolisieren.

 

It don’t mean a thing if it ain’t got that swing

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Visions of Modernity" über "Impressionismus und Klassische Moderne" mit Werken von Piet Mondrian in der Deutsche Guggenheim, Berlin

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung "Farbwelten – von Monet bis Yves Klein" mit Werken von Piet Mondrian im Museum dkw, Cottbus

 

und hier eine Beitrag über die Ausstellung “1912 – Mission Moderne - Rekonstruktion der "Jahrhundertschau des Sonderbundes" im Wallraf-Richartz-Museum, Köln.

 

Durch diesen Dualismus schleicht sich in sein Denken und seine Kunst eine gewisse Starre ein. So sind für ihn vertikale Linien Ausdruck des aufstrebenden, männlichen Prinzips – während die Frau sich laut Mondrian eher in horizontal hingestreckten Linien wiedererkennen soll. Dieses Schema exerzierte er zwei Jahrzehnte lang unerbittlich durch – womit er weltberühmt wurde.

 

Davon sind in der Ausstellung nur wenige Beispiele zu sehen – und gar keiner aus seiner allerletzten Phase nach seiner kriegsbedingten Emigration nach New York 1940. Dort lernte er den Jazz in allen Spielarten kennen und lieben. Diese Musik sollte auch seine Malerei mehr swing verleihen. Sie wurde dynamischer und beweglich als zuvor; das deuten Titel wie „Broadway Boogie Woogie“ oder „Victory Boogie Woogie“ an.

 

Alles wird eins

 

Vielleicht wurde dem Künstler am Ende doch bewusst, dass auch die strengste Geometrie nur als Invarianz aus dem Rhythmus entsteht? Schließlich inspirierte doch das pulsierende Metropolen-Leben diese Kunst. Der in der Ausstellung gezeigte Film „Im Atelier von Mondrian“ von Francois Lévy-Kuentz zitiert ihn mit den Worten: „Kunst und Leben werden eins sein.“ Hoffentlich nicht nur in geraden Linien und rechten Winkeln.