Mit seinem Film „Dem Himmel so fern“ erregte US-Regisseur Todd Haynes 2002 einiges Aufsehen. Das Liebesdrama mit Julianne Moore in der Hauptrolle, das in den 1950er Jahren angesiedelt war, basierte lose auf Douglas Sirks Klassiker „Was der Himmel erlaubt“ von 1955.
Info
Carol
Regie: Todd Haynes,
118 Min., USA/ Großbritannien/ Frankreich, 2015;
mit: Cate Blanchett, Rooney Mara, Kyle Chandler
Highsmith-Roman verfilmt
Nun hat Haynes den Roman „Salz und sein Preis“ von Patricia Highsmith aus dem Jahre 1952 verfilmt. „Carol“ handelt von der Liebe zweier Frauen aus verschiedenen Gesellschafts-Schichten im New York der 1950er Jahre. Serviert der Regisseur hier also nur alten Wein in neuen Schläuchen?
Offizieller Filmtrailer
Bringdienst für Geschenk + Handschuhe
Zu Anfang träumt die junge, unverheiratete Therese Belivet (Rooney Mara) von einer Karriere als Fotografin, während sie als Verkäuferin in einem Warenhaus arbeitet. Dort trifft sie auf die wohlhabende Carol Aird (Cate Blanchett), die nach Weihnachts-Geschenken sucht: eine sehr attraktive, aber auch deutlich ältere Dame.
Therese rät Carol zum Kauf einer Eisenbahn als Präsent für ihre kleine Tochter; es soll direkt zu ihr nach Hause geschickt werden. So erfährt Therese die Adresse von Carol; da jene ihre Handschuhe auf dem Kaufhaus-Tresen liegen gelassen hat, bringt die Verkäuferin ihr diese persönlich vorbei.
Liebesnacht irgendwo in Iowa
So beginnt eine enge Freundschaft zwischen den beiden Frauen aus unterschiedlichen Sphären. Dabei lässt die dominante Carol wenig Zweifel daran, dass sie Therese auch als Frau begehrt. Doch Therese reagiert zunächst zurückhaltend; immerhin hat sie einen festen Freund, der sie mit ernsten Absichten bedrängt. Zudem steht Carol kurz davor, sich von ihrem Mann Harge (Kyle Chandler) scheiden zu lassen.
Allerdings lässt die gegenseitige Anziehung nicht nach, die beide Frauen verspüren; sie kommen sich langsam, aber sicher näher. Nach einem Streit zwischen Carol und Harge, der ihr das Sorgerecht für die Tochter entziehen will, bricht sie zu einer Autoreise nach Chicago auf – und nimmt Therese mit. Erst schlafen sie in getrennten Betten, doch irgendwo in Iowa platzt der Knoten: In einem Motel erleben beide eine leidenschaftliche Liebesnacht miteinander.
Look of the golden age of Hollywood
Fatalerweise wird ihr Liebesspiel von einem Privatdetektiv abgehört und aufgenommen, den Harge auf sie angesetzt hat: um Beweise ihrer „unsittlichen Umtriebe“ zu sammeln, damit Carol endgültig das Sorgerecht verliert. Nun hat ihr Noch-Gatte sie in der Hand: Entweder sie kehrt zu ihm zurück, oder sie muss auf den Kontakt zu ihrer Tochter verzichten.
Welche Brisanz diese Geschichte zu ihrer Entstehungszeit hatte, zeigt sich darin, dass Patricia Highsmith sie unter Pseudonym veröffentlichte: Liebe zwischen Frauen war eine äußerst delikate Angelegenheit. In seiner Adaption bleibt Regisseur Haynes der Vorlage treu und übersteigert sie zugleich. Mit dem lupenreinen look der goldenen Hollywood-Ära in den 1940/50er Jahren: Sowohl Skript als auch sämtliche Einstellungen sind sorgfältig durchkomponiert.
Eisenbahn anstelle von Puppen
Hintergrund
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Naturgemäß sprengt auch das unverkrampfte Liebesspiel der beiden Frauen die Etikette traditioneller Hollywoodfilme, in dem nur Heterosexuelle auftraten, deren Küsse schamhaft abgeblendet wurden. Das änderte sich in den 1970er Jahren; doch lange blieben Frauen weiter sexy Betthäschen.
Lächeln sagt mehr als Worte
In diesem Film sind sie eindeutig die stärkeren Charaktere, während Carols Mann als spießiger Pedant erscheint, der um jeden Preis seine upper class-Ordnung wiederherstellen will. Dagegen tritt Therese in ihrem Freundeskreis als selbstbewusst pfiffige Person auf, während ihr Liebhaber ein netter Langweiler ist.
Bei der Inszenierung erweitert Regisseur Haynes sein Repertoire: Setzte er in „Dem Himmel so fern“ noch auf übersteigerte Farbigkeit nach dem Vorbild von Sirk, wählt er diesmal eine dezentere Palette mit markanten Akzenten, etwa bei Carols make-up und Limousinen. Das passt zu einer wesentlich optimistischeren Botschaft: Der Film endet mit einem wunderbaren Lächeln, das mehr sagt als alle Worte.