Naomi Kawase

Kirschblüten und Rote Bohnen

Ansteckend: Nicht nur Tokue (Kirin Kiki) ist von der Schönheit der Kirschblüten ergriffen, auch Sentaro (Masatoshi Nagase) und Wakana (Kyara Uchida) staunen bei ihrem Anblick. Foto: © Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 31.12.) Krisenberatung mittels Kochen: Als eine alte Dame ihm beibringt, wie man köstliche Bohnenpaste zubereitet, schöpft ein Ex-Knacki neuen Mut. Regisseurin Naomi Kawase vermittelt mit den kleinen Dingen des Lebens asiatische Weisheiten.

Wenn von „Kirschblüten und rote Bohnen“ die Rede ist, verstehen Japaner sofort, dass es um Synonyme für Sinnlichkeit und Genuss geht. Die Kirschblüte steht im Inselreich symbolisch für den Rhythmus der Jahreszeiten, für Schönheit und Vergänglichkeit, für Tradition und Besinnung auf die zarten Seiten des ansonsten so technisierten Lebens.

 

Info

 

Kirschblüten und
Rote Bohnen

 

Regie: Naomi Kawase,

113 Min., Japan/Frankreich/Deutschland 2015;

mit: Kirin Kiki, Masatoshi Nagase, Kyara Uchida

 

Weitere Informationen

 

Aus roten Bohnen wird an gekocht: Die Paste ist eine süß-herbe Leckerei, die japanische Geschmacksnerven verwöhnt wie mitteleuropäische Zungen ein Stück Schokoladentorte. Also erzählt Regisseurin Naomi Kawase vom richtigen Rezept für süße und herbe Lebensfragen – in Form einer Geschichte über Außenseitertum, Freundschaft und die Selbstverantwortung, aus dem eigenen Schicksal das Beste zu machen. Ihr ruhiger und anmutiger Film kommt allerdings nicht ganz ohne Kitsch aus.

 

In Imbissbude Schulden abtragen

 

Sentero (Masatoshi Nagase) hat nicht viel Freude am Dasein. Um seine Schulden abzuzahlen, schuftet er in einer kleinen Imbiss-Bude irgendwo in Tokio. Nach verbüßter Gefängnisstrafe lassen ihn schlechtes Gewissen ob seiner Untaten und die Trauer über sein verpfuschtes Leben nicht los. Voller Selbstmitleid schleppt er sich durch seine Tage, trinkt zuviel, ist von seiner Kundschaft genervt und kann Süßigkeiten nicht leiden.

Offizieller Filmtrailer


 

Bohnenpaste als Arbeitsprobe

 

Obwohl er an seinem Stand ausgerechnet dorayaki backt und verkauft: kleine, mit an gefüllte Pfannkuchen. Schnatternde girlies, die nach der Schule an seiner kleinen Theke sitzen und über Jungs und die Liebe kichern, machen ihm besonders schlechte Laune. Nur die einsame und stille Wakana (Kyara Uchida) leistet dem schweigsamen Bäcker oft Gesellschaft; abends darf sie verunglückte Pfannkuchen für ihren Kanarienvogel mit nach Hause nehmen.

 

Mitten im schönsten Kirschblüten-Frühling kommt plötzlich Tokue (Kirin Kiki) zu Senteros Bude. Die alte und gebrechliche Dame bittet um einen Job: Mit ihren deformierten Händen könne sie zwar schwere Töpfe nicht mehr heben, doch sie sei bestimmt eine gute Mitarbeiterin und verlange nicht viel Lohn. Als Sentero ihre selbst gemachte Bohnenpaste kostet, stellt er die schrullige Frau ein.

 

Alles eine Frage der Mischung

 

Der Geschmack ihrer Rezeptur ist so exzellent, dass der missmutige Pfannkuchen-Bäcker wieder Freude an seinem Job bekommt. Mit Hingabe bringt ihm die alte Frau nun bei, wie man diese köstliche an herstellt. Dafür braucht es viel Aufmerksamkeit und Geduld – alles im Dasein ist eine Frage der richtigen Mischung.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Still the Water" – Drama auf japanischer Tropen-Insel von Naomi Kawase

 

und hier einen Beitrag über “Naokos Lächeln” – Verfilmung des Bestsellers von Haruki Murakami über Jugendliebe in Japan um 1970 durch Tran Anh Hung

 

und hier einen Bericht über den Film "Unter Schnee" - Dokudrama über Traditionen in Nordjapan von Ulrike Ottinger.

 

Solche Krisenberatung mittels Kochen war schon oft im Kino zu sehen, doch in diesem Film funktioniert die Metapher einwandfrei. Takue eröffnet dem abgestumpften Sentero durch ihre Sensibilität und Erfahrung eine zweite Chance. Ihre Ausdauer und Leidenschaft wirken ansteckend; er schöpft neuen Lebensmut.

 

Gerüchte schüren Kunden-Boykott

 

Gemeinsam erleben Tokue, Sentero und Wakana, wie ihr Gebäck an Beliebtheit gewinnt und die Kundschaft dafür Schlange steht. Doch das Glück der drei einsamen Seelen währt nur kurz. Bald verbreitet sich das Gerücht, die Greisin leide an einer ansteckenden Krankheit: Ihre verkrüppelten Hände schüren Ängste, und die frisch gewonnenen Kunden bleiben wieder aus.

 

Als Tokues Geheimnis gelüftet wird, das mit einem unrühmlichen Kapitel der jüngeren japanischen Geschichte zusammenhängt, muss sich Sentero entscheiden: Hält er zu seiner Kollegin und Freundin, oder unterwirft er sich den Zwängen einer Gesellschaft, die Menschen leicht abstempelt und dazu verurteilt, ihr Dasein im Verborgenen zu fristen?

 

Wohl bekomm’s!

 

In ästhetischen Bildern lässt sich Regisseurin Kawase viel Zeit, ihre Geschichte mit japanischer Zurückhaltung zu entfalten. Das Ergebnis gerät etwas rührselig, ist aber in sich stimmig und hallt lange nach. Wer sich die Ruhe nimmt, asiatische Lebensweisheiten auf sich wirken zu lassen, dem werden die „Kirschblüten und rote Bohnen“ sicher munden.