Mia Wasikowska

Madame Bovary

Trautes Heim, Glück allein: Emma Bovary (Mia Wasikowska) spielt für ihren Mann Charles (Henry Lloyd-Hughes) Klavier. Foto: Warner Bros. Pictures
(Kinostart: 17.12.) Eine überspannte Bürgersfrau als Allegorie der aufstiegssüchtigen Gesellschaft: Flauberts Jahrhundert-Roman ist seit 1857 unverändert aktuell. Die brave Adaption von Regisseurin Sophie Barthes müht sich redlich, verfehlt aber den Kern der Sache.

Hochmut kommt vor dem Fall – auf dieses banale Sprichwort lässt sich „Madame Bovary“ verkürzen. Doch das 1857 erschienene Meisterwerk von Gustave Flaubert wäre nicht der Jahrhundert-Roman, der er ist, enthielte er nicht zugleich eine ganze Welt: Die Sphäre des gehobenen Bürgertums vom 19. Jahrhundert bis in unsere Zeit – mitsamt seiner ehrgeizigen Wünsche und Pläne, Enttäuschungen und Erfahrungen des Scheiterns.

 

Info

 

Madame Bovary

 

Regie: Sophie Barthes,

118 Min., USA/ Deutschland 2014;

mit: Mia Wasikowska, Ryhs Ifans, Paul Giamatti 

 

Website zum Film (engl.)

 

„La Bovary, c’est moi!“ hat Flaubert betont; dasselbe könnten seit mehr als 200 Jahren viele Gleichgesinnte von sich sagen. Die US-Verfassung von 1776 und die französische Revolution von 1789 machten ungeheure Versprechungen: Jeder ist seines Glückes Schmied, denn alle sind frei und gleich. Im Prinzip steht endlosem Fortschritt und persönlichem Aufstieg nichts im Wege; man muss nur sein Geschick beim Schopf packen und das Beste daraus machen.

 

Mehr ist immer besser!

 

Diese Verheißung entfesselte eine maßlose Dynamik bei technischen Neuerungen und Wirtschaftswachstum: Mehr ist immer besser! Dass dies ein Trugschluss sei, wird seit der ersten Ölkrise dauernd vorgerechnet, doch kaum jemand will es wahrhaben: Wachstum bleibt der zentrale Fetisch der Gegenwart. Selbst wenn es das Bevölkerungswachstum ist, dessen globale Zuwachsraten gruseln lassen.

Offizieller Filmtrailer


 

Verführt, verlassen + ruiniert

 

Dieses Dilemma der Moderne verdichtet Flaubert in einer Person: Emma Bovary ist eine brave Bürgersfrau aus eher bescheidenen Verhältnissen, doch – beziehungsweise: gerade deshalb – mit allerlei unerfüllten Ansprüchen. Sie sehnt sich nach feinsinniger Konversation, glänzenden Festen und großen Gefühlen. Das kann Ehemann Charles, ein biederer Landarzt, in ihrem dörflichen Heim nicht bieten. Also sucht Emma das schöne Leben außer Haus.

 

Der junge Kanzleischreiber Léon, der ihr den Hof macht, schwärmt zwar mit ihr für Musik und Literatur, doch er ist ein armer Schlucker. Tuchhändler Lheureux umgarnt sie mit schönen Stoffen, die er ihr auf Kredit überlässt, hat aber rein geschäftliche Interessen. Erst beim Grundbesitzer Rodolphe findet Emma die ersehnte grandezza; dummerweise lässt er sie fallen, nachdem er sie verführt hat. Zudem hat sie mit ihrer Verschwendungslust die Finanzen ihres Mannes ruiniert – als letzten Ausweg sieht Emma nur den Griff zum Gift-Fläschchen.

 

Anklage für Kutsche mit verhängten Fenstern

 

Den tragischen Verlauf ihrer Großmannssucht verfilmt Regisseurin Sophie Barthes weitgehend werkgetreu mit kleinen Änderungen. Aus dem bürgerlichen Grundbesitzer wird ein adliger Marquis (Logan Marshal-Green); dagegen entfällt Charles‘ (Henry Lloyd-Hughes) tristes Schicksal nach Emmas Tod. Beides ist so unerheblich wie ein paar freizügige Liebesszenen, die ihre Film-Affären würzen: 1857 genügte im Roman noch eine Kutschfahrt mit verhängten Fenstern, um dem Autor eine Anklage wegen „Verherrlichung des Ehebruchs“ einzuhandeln.

 

Hintergrund

 

Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Jane Eyre” – formvollendete Verfilmung des Romans von Charlotte Brontë durch Cary Fukunaga mit Mia Wasikowska

 

und hier einen Beitrag über den Film “Die geliebten Schwestern” - bestechendes Biopic über Schillers Dreiecksbeziehung von Dominik Graf

 

und hier eine Besprechung des Films “The Invisible Woman” – gelungenes Historiendrama über Charles Dickens' heimliche Geliebte von und mit Ralph Fiennes.

 

Schwerer wiegt, dass Mia Wasikowska in der Hauptrolle eine recht blasse Emma abgibt. In „Jane Eyre“ (2011) von Cary Fukunaga nach dem Roman von Charlotte Brontë glänzte sie als willensstarke und lebenskluge Waise. Als von ennui geplagte, später zunehmend verzweifelte Absteigerin überzeugt sie jedoch kaum. Ihr fehlt das hochfahrend Überspannte, mit dem sich Emma zur romantischen femme fatale voller Leidenschaft stilisiert, die sie gerne wäre.

 

Buy now, pay later ist Bovary

 

Daher greift Regisseurin Barthes zu arg überdeutlichen Signalen: Unter lauter dunkel gewandeten Bürgersleuten läuft Emma als einzige in grellbunten Kleidern aus Damast und Seide herum. Das prosaische Nützlichkeits-Denken der Provinz-Honoratioren, von Flaubert liebevoll karikiert, wird in der Figur des Dorf-Apothekers Homias (Paul Giamatti) nur angedeutet. Und Emmas Freitod walzt der Film so ausführlich wie fade aus: Beim grauenvollen Zusammenbruch ihres Lebensentwurfs bleibt Wasikowskas Antlitz viel zu makellos.

 

Zwölf Mal ist Flauberts Roman schon verfilmt worden; darunter von Regie-Legenden wie Jean Renoir und Claude Chabrol mit Stars wie Pola Negri und Isabelle Huppert. Dem hat Sophie Barthes in ihrem zweiten Spielfilm nichts hinzuzufügen. Vor allem versäumt sie, die universelle Bedeutung dieser fast 160 Jahre alten Frauen-Biographie zu verdeutlichen: Warum die ganze Konsumgesellschaft mit ihrem buy now, pay later eigentlich Madame Bovary ist.