
Der alte viktorianische Superdetektiv Sherlock Holmes ist nicht totzukriegen. In Kino- und TV-Fassungen der letzten Jahre trat er unverändert genial, verschroben und trotzdem cool auf – nach wie vor erfolgreich. Regisseur Bill Condon zeigt ihn in „Mr. Holmes“ allerdings von einer neuen, bislang unbekannten Seite.
Info
Mr. Holmes
Regie: Bill Condon,
105 Min., Großbritannien, 2015;
mit: Ian McKellen, Laura Linney, Milo Parker
Als Hobby-Imker Bienen züchten
Im Jahr 1947 lebt Holmes zurückgezogen mit der verwitweten Haushälterin Mrs. Munro (Laura Linney) und ihrem zehnjährigen Sohn Roger (Milo Parker) in einem Landhaus in Sussex. Als Hobby-Imker züchtet er Bienen; nicht nur zur Entspannung, sondern auch für ihr Gelee Royale, dessen Einnahme für geistige Beweglichkeit sorgen soll.
Offizieller Filmtrailer
Japanischer Pfeffer hilft wenig
Der Pensionär kämpft mit allen Mitteln gegen seine zunehmende Vergesslichkeit; er reist sogar nach Japan, um dort an den sagenumwobenen japanischen Pfeffer zu kommen, der ähnlich wohltuend sein soll. Doch die Wundermittelchen helfen wenig; ihm bleibt nicht mehr viel Zeit, um seine Memoiren zu schreiben.
Seiner Meinung nach ist das notwendig: Der ewige Begleiter Dr. Watson hat in seinen Büchern über Sherlock Holmes maßlos übertrieben und die Fakten verdreht. Dabei lässt ihn sein letzter Fall nicht los; er bewog Holmes vor fast dreißig Jahren, mit der Lösung von Kriminalfällen aufzuhören. Auslöser ist der Tod seines Bruders, in dessen Nachlass sich Holmes‘ damalige Aufzeichnungen befinden. Der Sohn seiner Haushälterin hat sie gefunden und gierig verschlungen.
Gerührt von beschatteter Schwermütiger
Roger brennt nun darauf zu erfahren, wie die Geschichte weitergeht, aber Holmes Erinnerungen bleiben bruchstückhaft. Sie bergen auch ein unangenehmes Geheimnis: Der scheinbar unfehlbare Meisterdetektiv hatte sich geirrt. Er hatte die Zusammenhänge perfekt durchschaut und so den Fall gelöst, aber das tödliche Nachspiel nicht vorausbedacht.
Damals drehte sich alles um eine schwermütige Mrs. Kelmot, die Holmes beschattete. Sie rührte sein Herz, wie er zu spät bemerkte; für den lupenreinen Rationalisten ein Ding der Unmöglichkeit. Kein Wunder also, dass er die ganze Angelegenheit lieber vergaß; nun wühlt der junge Roger sie wieder auf. Seine Neugier bringt den alten Mann in Bedrängnis: Er muss sich seinem größten Fehler stellen – so lange ihm das noch geistig möglich ist.
Real, erfunden, egal
Mit dieser verschachtelten Konstruktion fügt Regisseur Condon der langen Reihe von Holmes-Adaptionen eine originelle Nuance hinzu. Die Fiktion der Fiktion wirkt jedoch keineswegs übertrieben oder irreal, im Gegenteil: Es ist egal, dass Sherlock Holmes eine erfundene Figur ist. Dieser alte Mann erscheint quicklebendig, was mit seiner dauernden Präsenz in der Popkultur zusammenhängen dürfte.
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
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Ungewohnte Emotionen
Nach dem Tod aller Verwandten und Freunde muss sich der Greis neu orientieren. Er braucht Hilfe im Alltag: Die irische Haushälterin und ihr aufgeweckter Sohn bringen Schwung in Holmes‘ Routine. Bald übernimmt er zu seinem erstaunten Vergnügen eine Art Großvater-Rolle für den Knaben: Als Roger ins Krankenhaus muss, trifft ihn das schwer. Solche Emotionen sind für das frühere Superhirn eine ungewohnte Erfahrung – die ihm auch bei der Erinnerung an seinen letzten Fall weiterhilft.
Neben der vordergründigen Handlung kokettiert der Film auch virtuos mit der fiktionalen Ebene, indem er Holmes über seine mediale Figur herziehen lässt, die mit dem wahren Detektiv nur wenig gemein habe. Er sieht sich sogar im Kino ein B-movie mit sich selbst als Titelhelden an.
Diese Rolle ist dem inzwischen 76-jährigen Ian McKellen auf den Leib geschrieben; er verleiht ihr den nötigen, subtilen Witz. Dabei macht er sowohl als jüngerer als auch als greiser Holmes eine gute Figur, lässt aber auch den anderen Personen Raum zur Entfaltung: erstklassig unterhaltsames Erzählkino, untermalt von stimmungsvoller Musik vor großartiger Landschaft.