
Das Standbild eines Schwarzweiß-Films: Eine junge blonde Frau, schräg von unten aufgenommen, blickt etwas ängstlich an der Kamera vorbei, allein in einer großen Stadt – doch dieser Film wurde nie gedreht. Zwei Räume weiter starrt der glasig-blaue Blick einer Barbie-Puppe ins Leere. In ihrer Brust klafft ein großes Loch, in das ein anderer, ebenso blonder Puppenkopf gestopft wurde; dessen Augen zeigen nur noch das Weiße.
Info
Cindy Sherman:
Works from the Olbricht Collection
16.09.2015 - 28.08.2016
täglich außer montags
12 bis 18 Uhr
im me Collectors Room/ Stiftung Olbricht, Auguststraße 68, Berlin
Broschüre 14,80 €
Meisterin des Sich-Entziehens
Shermans Bilder können mit dem nostalgischen Charme alter Kinofilme bezaubern wie die „Untitled Film Stills“ (1977-1980) – oder aber durch ihren Grusel- oder Ekel-Faktor wirken. Die Künstlerin posiert auf allen Aufnahmen selbst als Fotomodell; doch sie ist zugleich eine Meisterin des Sich-Entziehens. Sie betitelt ihre Bilder nie. Ihre Anordnung in Werkserien wurde von Kunstkritikerin und -historikern vorgenommen. Sherman tritt auch nicht gern an die Öffentlichkeit.
Interview mit Thomas Olbricht + Impressionen der Ausstellung
Falsche Brüste + Zähne
Wie ein gutes mannequin besitzt Sherman die chamäleonartige Fähigkeit, in jedem Bild anders zu erscheinen – oft sind Betrachter unsicher, ob sie selbst zu sehen ist oder nicht. In der Schau werden daher auch „echte“ Porträts gezeigt, die andere Fotografen von ihr angefertigt haben: besonders beeindruckend das von Robert Mapplethorpe 1983. Zudem ist die komplette Serie der „West Coast Ladies“ (2000) zu sehen, die mit den „Society Ladies“ wohl zu ihren besten Arbeiten zählt.
Auf diesen Bildern amüsiert sich Sherman mit falschen Brüsten, Zähnen und allerlei Mode-accessoires. Damit präsentiert sie meist misslungene Versuche, das Altern zu kaschieren: eine schonungslose und spannende Auseinandersetzung mit oberflächlichem Konsumfetischismus am klassischen sujet des weiblichen Körpers. Zugleich spielt sie mit Puppen und Masken, Markenkleidung und -schmuck, make-up und popkulturellen Verweisen.
Dies ist kein Selbstporträt
Sie habe sich schon als Kind gern verkleidet, erzählt Sherman im Dokumentarfilm „Nobody’s Here But Me“ von 1994, der in der Schau vorgeführt wird: „Alt werden, ein Monster werden oder jemand anders“, bis etwas von ihr „Besitz ergreife“, das sie „nicht einmal wiedererkenne“. An diesem Punkt reizt sie ihre Selbst-Inszenierung als fotografisches Objekt.
Das Selbstporträt hat natürlich eine lange künstlerische Tradition, und ebenso die Verfremdung im Selbstporträt, die den Künstler nicht sofort als Gegenstand der Darstellung erkennen lässt. Doch Shermans Praxis steht nicht in dieser Tradition. Im konventionellen Selbstporträt steckt immer die Behauptung, ob für den Betrachter erkennbar oder nicht, dass dieses Bild das „wahre Selbst“ des Künstlers zeige. Dagegen ist bei Shermans Fotografien bekannt, dass sie stets persönlich posiert – doch keinesfalls stellt das Bild sie selbst dar.
Gealterte Provokationen
Anders ihre Horror-Inszenierungen, die vielleicht etwas überproportional vertreten sind: Bei diesen arrangements setzt sie nicht ihren eigenen Körper als Material ein, sondern kaputte Puppen, Prothesen, Abfälle und künstliche Körperteile. Laut eigener Aussage begann Sherman damit, als sie das Gefühl beschlich, Sammler zeitgenössischer Kunst würden absolut alles kaufen, was sie anfertigt – um mit dem Bisherigen zu brechen.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung “Queensize – Female Artists from the Olbricht Collection” über weibliche Weltwahrnehmung im me Collectors Room, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung “Bettina Rheims: Bonkers – A Fortnight in London” – Inszenierungen weiblicher Erotik in der Galerie Camera Work, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung “I killed my dinner with karate” – körperbetonte Tanz-Fotografie von Franziska Strauss in der Neuen Sächsischen Galerie, Chemnitz.
Fünf Jahre nicht mehr fotografiert
Auch das Verträumte ihrer neueren fantasy-Szenen beeindruckt weniger als einst ihre Studien des Grotesken. Inzwischen fragt sich Sherman, ob sie noch etwas zu sagen habe: „Ich versuche, mich von meinem Erfolg nicht bremsen zu lassen, aber ich habe seit fünf Jahren nicht mehr fotografiert“, erzählte sie im Oktober 2015 dem „ZEIT-Magazin“.
Die erfolgreichste Gegenwarts-Künstlerin der Welt ist eine verschwindende Frau. Sie hat die Objektivierung des weiblichen Körpers auf die Spitze getrieben, indem sie ihren eigenen Leib für ihre Inszenierungen verwendete; dabei verschwand sie zugleich völlig als Person, als künstlerisches Subjekt. Damit hat sie etwas geschaffen, was als vollkommene Projektionsfläche dienen kann.
Menschen alles glauben lassen
Das ist ihren Worten zufolge einer der Gründe, warum sie sich ungern zu ihren Arbeiten äußert. Die Faszination, die von ihrer Kunst ausgeht, ist eine des Mysteriums, letztlich eine Faszination der Leere. Die Begeisterung für eine Projektion ist zunächst inhaltlich unbestimmt. Oder, wie Sherman es ausdrückt: „Mit einer Fotografie kann man die Menschen einfach alles glauben lassen.“