Maria Furtwängler

Das Wetter in geschlossenen Räumen

Alec (Mehmet Sözer, li.) und Dorothea (Maria Furtwängler) lassen sich von Alecs Kumpel Samir mit chemischen Drogen abfüllen. Foto: Movienet Film
(Kinostart: 28.1.) Spenden im Delirium akquirieren: Regisseurin Isabelle Stever porträtiert eine Entwicklungshelferin, die im Luxus-Hotel die Puppen tanzen lässt. Ihre von Alkohol und Drogen befeuerte Dekadenz entstellt diese Branche zur Kenntlichkeit.

Grelles Sonnenlicht, unerträglich heiß und trocken, bleihaltige Luft verwirbelt sich oft zu Sandstürmen: So würden wohl Meteorologen das Klima in dem namenlosen arabischen Staat beschreiben, der Jordanien ähnelt. Dagegen ist das Fünfsterne-Hotel im Zentrum der Hauptstadt, das von Schutztruppen-Panzern bewacht wird, stets wohltemperiert.

 

Info

 

Das Wetter in geschlossenen Räumen

 

Regie: Isabelle Stever,

100 Min., Deutschland 2015;

mit: Maria Furtwängler, Mehmet Sözer, Anne von Keller

 

Weitere Informationen

 

Durch die Flure huscht der Zimmerservice, der jeden Wunsch leise und diskret erfüllt. Im Restaurant tafelt man gediegen, an der Bar werden importierte Edel-Spirituosen ausgeschenkt. In den lobby-Clubsesseln stecken dauernd Geschäftsleute und NGO-Mitarbeiter die Köpfe zusammen, und die hauseigene boutique bietet teure Markenkleidung feil.

 

Champagner + Gesangseinlagen

 

Diese Gänge, Gemächer und Saalfluchten sind der Lebensraum von Dorothea Nagel (Maria Furtwängler): Die Endvierzigerin arbeitet für ein Hilfsprojekt, das college-Stipendien an Flüchtlingskinder vergibt. Dafür nötige Spenden wirbt sie auf charity-Empfängen ein, bei der die heimische Oberschicht und westliche Diplomaten mit Gesangseinlagen und champagner bewirtet werden. Dem spricht Dorothea selbst am meisten zu: „Die höchsten Spenden akquiriere ich im Delirium“.

Offizieller Filmtrailer


 

Luxusmännchen als lover

 

So wird die Minibar zum wichtigsten Utensil in ihrer weitläufigen suite, die sie mit ihrem jugendlichen lover Alec (Mehmet Sözer) bewohnt. Der schwarzgelockte Deutsch-Syrer kultiviert den Lebensstil eines Luxusmännchens. Tagelang hängt er untätig herum, lässt sich von Dorothea aushalten und streunt mit seinem Kumpel, dem Drogen-dealer Samir, durch die Gegend – bis er wie eine geduldige Schlange blitzschnell zuschlägt, wenn sich die Beute lohnt.

 

Warten müssen alle Hotelgäste. Die Grenzen zum Nachbarland sind geschlossen; Kriegsflüchtlinge, denen die versammelten Krisenhelfer Gutes tun wollen, bleiben aus. Da Dorothea unter Erwartungsdruck ihrer Auftraggeber steht, treibt sie ein einzelnes Mädchen auf und frisiert ihre Qualifikation, um sie als Stipendiatin nach London zu schicken. Dummerweise verfolgt das Gör eigene Pläne: Auf dem Pariser Flughafen taucht sie unter – und wird erst wieder als Braut auf einer orientalischen Hochzeit in Frankreich gesichtet.

 

A cappella-karaoke in der Hotelbar

 

Zum Missfallen von Aurelie (Anne von Keller): Die Vorgesetzte von Dorothea könnte ihre Tochter sein, trägt enge T-shirts mit Herzchen-Applikationen und ginge sofort als club girl in Berlin-Friedrichshain durch. Alles hipster-Fassade: Aurelie hat kaum Erfahrung, wird von Ängsten gepeinigt und ist nur darum bemüht, ihre Bücher in Ordnung zu halten. Ihr einziges Argument ist die Drohung, ihrer Untergebenen die Vertragsverlängerung zu verweigern.

 

Grund genug für Dorothea, auf den Putz zu hauen, solange der Rubel noch rollt: Ob beim a cappella-karaoke mit Geldgebern in der Hotelbar, das zur wüsten Privat-party ausufert, oder Drogenexzessen mit Koks und liquid ecstasy post disaster sex inklusive. Ihr demonstrativ zelebrierter rock’n’roll lifestyle hat etwas Angestrengtes und leicht Verzweifeltes: „Ich bin nicht erwachsen. Will ich überhaupt erwachsen werden?“ Diese Entscheidung nehmen ihr andere ab; nach den Spesenrittern kommen die Bürokraten.

 

Industriebranche wie jede andere

 

Bei diesem Sittenbild der Hilfsprojekte-Szene trägt Regisseurin Isabelle Stever etwas dick auf: Eine nachrangige Projektmanagerin wie Dorothea könnte sich keine Hotel-suite leisten. Teure designer-Drogen gibt es in der Dritten Welt kaum an jeder Ecke, und nicht für jede Stipendiatin wird gleich ein Werbe-Videoclip in CNN-Ästhetik produziert. Doch solche Spitzen erzeugen einen Verfremdungseffekt, der die Verhältnisse zur Kenntlichkeit entstellt.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films „A Perfect Day“ – Entwicklungshilfe-Tragikomödie von Fernando Léon de Aranoa mit Benicio del Toro

 

und hier einen Bericht über den Film „Zeit der Kannibalen“ Unternehmensberater-Groteske mit Devid Striesow von Johannes Naber

 

und hier einen Beitrag über den Film "Mord in Pacot – Meurtre à Pacot" – Drama über die Liaison eines Katastrophen-Helfers in Haiti von Raoul Peck.

 

Regisseurin Stever führt anschaulich vor, dass Entwicklungshilfe inzwischen eine Industrie ist, deren Akteure die gleichen Eigeninteressen verfolgen wie in jeder anderen Branche. Hauptsache, das Geld fließt weiter, vorzugsweise aufs eigene Konto – natürlich steuerfrei. Gibt es für die Mittel keine sinnvolle Verwendung, wird eben eine erfunden: Von wechselndem Kriegsglück will sich niemand die eigene Karriereplanung durchkreuzen lassen.

 

Lokale Gespielinnen fürs Gemüt

 

Die Treibhaus-Atmosphäre in Nobelherbergen mit obszönem und zugleich weltweit uniformem Luxus ist das natürliche Habitat dieser Klientel: Stress und Angst wird mit Verschwendung und Hochprozentigem bekämpft. Fürs Gemüt gibt es lokale Gespielinnen und Gespiele, die sich um ihr Stück vom Kuchen balgen. Solch dekadenter Lebensstil ist so weit von jeder Normalität entfernt, dass es auf ein paar Ausschweifungen mehr oder weniger nicht ankommt.

 

Diese Charakterstudie zeigt einen Aspekt von Entwicklungshilfe, der gern ignoriert wird: die Dritte Welt als neokoloniale Spielwiese für halbseidene Typen, die sich die Taschen füllen. Das entspricht oft eher der Realität als Porträts bärbeißiger Eigenbrötler mit goldenem Herzen, wie jüngst „A Perfect Day“ von Fernando Léon de Aranoa, oder die political correctness-Klamotte „Zeit der Kannibalen“, in der Johannes Naber Unternehmensberater denunziert. Da hat Regisseurin Stever vorurteilsloser recherchiert: Am Ende kommt ihre Hauptfigur Dorothea allmählich von ihrem trip wieder runter.