In seinem Kinodebüt verfilmt Stephan Rick den zweiten Roman des Schweizer Erfolgsautors Martin Suter, der „Die dunkle Seite des Mondes“ im Jahr 2000 veröffentlichte. Wenn dessen verstorbener Landsmann Albert Hofmann, der 1947 zufällig LSD entdeckte, diesen Film sehen könnte, würde er sich wahrscheinlich im Grabe umdrehen. Aber dazu später mehr.
Info
Die dunkle Seite des Mondes
Regie: Stephan Rick
97 Min., Deutschland/ Luxemburg 2015
mit: Moritz Bleibtreu, Jürgen Prochnow, Nora von Waldstätten
Fusions-Opfer erschießt sich
Als Urs gewohnt kaltblütig die Fusion zweier Pharma-Firmen durchsetzt, ist sein nicht minder gewissenloser Auftraggeber Pius Ott (Jürgen Prochnow) entzückt. Ausgebootet fühlt sich dagegen der bisherige Inhaber des kleineren Unternehmens: Durch den deal in den Ruin getrieben, erschießt er sich direkt vor Urs‘ Augen.
Offizieller Filmtrailer
Mit Pilzen zu den inneren Dämonen
Anstandshalber erscheint Urs zu seiner Beerdigung; er ist verwirrt und mit sich nicht im Reinen. Wie in Trance verlässt er die Trauerzeremonie und wandert in einen Wald hinein. Dort trifft der konfuse Kapitalist auf einem Hippie-Flohmarkt die hübsche Lucille; sie trägt ein T-Shirt mit dem Plattencover des psychedelischen Klassikers „The Dark Side of the Moon“ von Pink Floyd.
Urs und Lucille kommen sich schnell näher; der Volljurist nimmt sogar an einer Zeremonie mit halluzinogenen Pilzen teil. Die pflanzlichen Drogen lassen Urs zuerst die mystische Tiefe des Taunus und dann seine eigenen inneren Dämonen entdecken. Über die verliert er bald immer stärker die Kontrolle; dass Urs der Katze von Lucille das Genick bricht, ist nur der Anfang.
Romantischer Wald gegen kaltes Mainhattan
Der Taunus wird im Film zum Märchenwald der Brüder Grimm und seine Tiere zu wichtigen Symbolträgern. Zugleich fungiert dieser Wald als Spiegel der geheimnisvollen Welt des Unterbewusstseins, in der sich Urs zunehmend verliert. Das Mysterium des südhessischen Waldes mit saftigen Moosen, bizarren Farmen, schroffen Felsen, düster-romantischem Nebel und geheimnisvollen Rauschen der Blätter fängt Stephan Rick sehr atmosphärisch ein.
Der ungezähmt wilden Natur stellt der Regisseur effektvoll das kalt rationale Mainhattan mit dem gläsernen Neubau der Europäischen Zentralbank und weiteren Wolkenkratzern gegenüber. Allerdings sind die Protagonisten in diesem Psycho-Thriller ähnlich grob behauen wie mancher Frankfurter Bankenturm: Trotz guter Schauspieler-Leistungen stecken sämtliche Charaktere in Klischees fest.
LSD taugt nicht als Killer-Droge
Hintergrund
Weitere Rezensionen finden Sie in der Presseschau bei Film-Zeit.
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films “Zeit der Kannibalen” - Unternehmensberater-Groteske mit Devid Striesow von Johannes Naber
und hier einen Beitrag über den Film “Stereo” – gelungener Rache-Psycho-Thriller mit Moritz Bleibtreu von Maximilian Erlenwein
und hier einen Bericht über den Film “The Substance: Albert Hofmann’s LSD” – informative Drogen-Doku von Martin Witz.
und hier einen Bericht über den Film "Das System – Alles verstehen heißt alles verzeihen" - Wirtschafts-Krimi von Marc Bauder.
Auch die übrigen Anzugträger überzeugen ebenso wenig wie die spät-hippiesken Waldwesen: Selbst Nora von Waldstätten, die als Terroristen-Liebchen in „Carlos – Der Schakal“ (2010) fünfeinhalb Stunden in der Illegalität glänzte, bleibt als verführerische Drogen-Fee Lucille recht eindimensional.
Von Struktur- zu Körper-Gewalt
Regisseur Rick hält die Geschichte für eine Variation des klassischen „Dr. Jekyll und Mr. Hyde“-Motivs, was sehr fragwürdig ist: Das rücksichtslose Kapitalistenschwein Urs macht keineswegs eine Wandlung vom anständigen Bürger zum Monster in Menschengestalt durch. Stattdessen wechselt der perfide Finanzjongleur nur von struktureller zu körperlicher Gewalt.
So wird „Die dunkle Seite des Mondes“ zum zwiespältigen Seherlebnis: Sehr gelungen sind die elegante Bildgestaltung und dichte Atmosphäre, störend wirkt überdeutliche Symbolik wie etwa ein Jagdmesser mit der eingravierten Losung: „Never hesitate!“ („Zögere nie!“). Solche Querschläger lassen den Verdacht aufkommen, dass hier tatsächlich jemand die falschen Pilze genascht hat.