
Back to the roots: Diese Ausstellung stellt Werke des 1955 geborenen William Kentridge denen seines fast 500 Jahre älteren Vorgängers Albrecht Dürer gegenüber. Solche Alt-Neu-Konfrontationen sind im Kunstbetrieb neuerdings en vogue; meist sollen sie Zeitgenössisches durch die Beigabe von Altehrwürdigem aufwerten.
Info
Double Vision:
Albrecht Dürer &
William Kentridge
20.11.2015 - 06.03.2016
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
im Kulturforum, Matthäikirchplatz, Berlin
Katalog 34,90 €
10.09.2016 - 08.01.2017
täglich außer montags 10 bis 18 Uhr in der Staatlichen Kunsthalle, Hans-Thoma-Straße 2-6, Karlsruhe
Dürer-Ehrenpforte in Studentenbude
Nicht nur mit seiner Konzentration auf Grafik steht Kentridge in der Nachfolge Dürers, der Holzschnitt und Kupferstich um 1500 bis an die Grenzen des Machbaren ausreizte. Der Südafrikaner zählt auch zu den erklärten Bewunderern des Renaissance-Überkünstlers: Als Student hängte er sich Reproduktionen von Dürers opus magnum „Die Ehrenpforte Kaiser Maximilian I.“ (1515) in sein Zimmer. Das war offenbar geräumig: Die 195 Einzeldrucke auf 36 Papierbögen bedecken insgesamt zehn Quadratmeter.
Interview (auf Englisch) mit William Kentridge + Impressionen der Ausstellung
Tusche-Baum zum Verräter-Prozess
Diese Schau bietet eine seltene Gelegenheit, den größten jemals geschaffenen Holzschnitt in voller Pracht zu bewundern; samt der unzähligen Details, mit denen Dürer seine Monarchen-Verherrlichung ausgeschmückt hat. Davon ließ sich Kentridge zur faltbaren Monumental-Lithographie „Remembering the Treason Trial“ (2013) inspirieren, die direkt daneben hängt und zwei mal zwei Meter misst.
Der Titel bezieht sich auf einen Landesverrats-Prozess in den 1950er Jahren; am Ende wurden alle Angeklagten, darunter Nelson Mandela, freigesprochen. Eine der vielen Anspielungen auf Südafrikas Apartheid-Vergangenheit in Kentridges Werk, was auf den ersten Blick nicht zu erkennen ist: Man sieht einen mächtigen Baum voller rätselhafter Parolen, den er mit dem Pinsel tuschte und anschließend drucken ließ.
Komplizierte Evidenz-Forscher
Das Motiv erklärt sich aus der Biographie des Künstlers, dessen Vater damals Anwalt der Verteidigung war. Wenn er zum Gericht fuhr, dachte der kleine William, er gehe zu den „trees“, den Bäumen – ein produktives Missverständnis. Solche Zusammenhänge erfährt man jedoch nur aus dem informativen Katalog; die Ausstellung schweigt sich darüber aus.
An ihr haben Kunsthistoriker der Forschungsgruppe „BildEvidenz“ an der Freien Universität Berlin mitgewirkt. Was sie so beschreiben: „Man sieht sich unabdingbar vor das elementare Problem gestellt, den jeweils propositional explizierbaren Begriffsgehalt der genannten Diskurse mit jenem kognitiven Potential zu korrelieren, dass sich aus der ästhetischen Alterität von Bildern als Medien einer wesentlich unbegreiflichen und nichtdiskursiven Artikulation ergibt.“ Auf Deutsch: Bilder wirken visuell; das ist mit Sprache allein nicht zu fassen.
Bildern im Ungewissen folgen
Deshalb verzichten die Macher fast völlig darauf. Sie haben rund 120 Arbeiten von Dürer und Kentridge in sieben Abteilungen mit kryptischen Titeln wie „Ungewisses sehen“ oder „Bildern folgen“ gruppiert – ohne Kommentar. Dabei ist ihre Anordnung durchaus sinnvoll: So macht beispielsweise „Ungewisses sehen“ darauf aufmerksam, dass beide Künstler häufig vieldeutige Formen verwenden.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Dürer. Kunst – Künstler – Kontext" im Städel Museum, Frankfurt am Main
und hier eine Besprechung der Ausstellung "William Kentridge: Fünf Themen" in der Albertina, Wien
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Die entfesselte Antike" über "Aby Warburg und die Geburt der Pathosformel" im Wallraf-Richartz-Museum, Köln
und hier einen Bericht über die Ausstellung "… nur Papier, und doch die ganze Welt …" über 200 Jahre Graphische Sammlung in der Staatsgalerie, Stuttgart.
Rhinozerosse einst + jetzt
All dies lässt sich aber nur dem Katalog entnehmen; die Schau selbst gibt darüber nichts preis. Ebenso wenig über die verschiedenen Grafik-Techniken und die jeweiligen Effekte, die sich damit erzielen lassen. Etwa das so genannte anamorphotische Verfahren, das bereits in der Renaissance bekannt war – zuweilen greift Kentridge darauf zurück: Ein Motiv ist nur erkennbar, wenn es aus einem bestimmten Winkel oder im Spiegel erblickt wird.
Da derlei ungesagt bleibt, springen beim Rundgang nur oberflächliche Parallelen ins Auge: Dürer hat sich intensiv mit optischer Wahrnehmung und ihrer Wiedergabe auf Papier beschäftigt, Kentridge auch. Dürer fertigte 1515 die erste Darstellung eines Rhinozerosses in Europa an, die bis heute bekannt ist; Kentridge zeichnet gleichfalls Nashörner, die in Südafrika heimisch sind.
Mode-Schau für Goldfische
Mit dieser Schwarz-Weiß-Aufteilung von Bildern an nackten Wänden und Erläuterungen nur in Buchform folgt die Ausstellung einer anderen Mode: das Publikum bloß nicht mit Informationen zu behelligen, weil man ihm nur die Aufmerksamkeits-Spanne eines Goldfischs zutraut. Wer mehr wissen will, soll bitteschön ein hübsches Sümmchen für den Katalog hinblättern. Ihn vorab zu lesen lohnt sich, um die Bedeutung dieser Meisterwerke verstehen zu können – evident ist hier gar nichts.