Er kam, sah und siegte – mit Zeitverzögerung. Als der Max Beckmann (1884-1950) im April 1904 erstmals nach Berlin zog, strotzte der erst 20-Jährige vor Selbstbewusstsein. Gegen den Willen seiner Familie hatte er in Weimar Malerei studiert, nach drei Jahren abgebrochen und sieben Monate in Paris verbracht. Nun will er die Kunstwelt erobern; zuerst die deutsche.
Info
Max Beckmann und Berlin
20.11.2015 - 15.02.2016
täglich außer montags
10 bis 18 Uhr
in der Berlinischen Galerie, Alte Jakobstr. 124-128, Berlin
Katalog 34,80 €
Buch-Monographie für 29-Jährigen
Die preisgekrönte Strandszene, die Max Liebermanns Bild „Badende Jungen“ (1900) ähnelt, lässt Kritiker und Galeristen auf den newcomer aufmerksam werden. Bald mischt Beckmann im hauptstädtischen Kulturbetrieb kräftig mit: Er tritt 1907 der einflussreichen Künstlervereinigung „Secession“ bei und wird drei Jahre später das jüngste Vorstands-Mitglied. 1913 richtet ihm der Kunsthändler Paul Cassirer seine erste große Einzelausstellung aus, zu der sogar eine Monographie in Buchform erscheint – für einen 29-Jährigen!
Impressionen der Ausstellung
In den Schrecklichkeiten der Welt wühlen
Wie auch immer Beckmann das geschafft haben mag: Die öffentliche Anerkennung bleibt dahinter zurück. Kritiker betrachten ihn als Nachwuchs-Impressionisten aus der zweiten Reihe. Beckmann hält dagegen, polemisiert gegen den neuen Expressionismus, der ihm zu „dekorativ“ ist, und versucht sich an historischen und mythologischen Themen voller Drama und Pathos. Was überzogen erscheint: eine „blutrünstige Phantasie, die mit ganz unzureichenden Kunstmitteln in den größten Schrecklichkeiten der Welt wühlt“, bescheinigt ihm ein Rezensent 1909.
Diese Sturm-und-Drang-Jahre des künftigen Großkünstlers holt nun die Berlinische Galerie in der Jubiläumsausstellung zum 40. Jahrestag ihrer Gründung ans Tageslicht. Eine echte Überraschung: Zu entdecken ist sein Frühwerk in rascher Entwicklung, das andernorts nur in Momentaufnahmen zu sehen ist. Ausgewählte Bildbeispiele anderer Künstler verdeutlichen, wie Beckmann ihre Techniken und Sujets aufgreift und fortspinnt – oder auch nicht.
Ab Kriegsende in Frankfurt am Main
So ist seine „Kleine Sterbeszene“ von 1906 offensichtlich durch Vorbilder von Munch inspiriert. Beckmanns Ganzfigur-Bildnis eines gewissen Hanns Rabe (1911) entspricht in der Körperhaltung dem bekannten Porträt des homme de lettres Harry Graf Kessler, das Munch fünf Jahre zuvor gemalt hatte. Solche Vorbilder wirkten aber in der Aufbruchphase der Avantgarden obsolet: Gegen die Diagonalen, spitzen Winkel und grellen Farben etwa bei Ernst Ludwig Kirchner sehen Beckmanns Stadtansichten behäbig und altbacken aus.
Erst 1914 gelingen ihm Kompositionen wie „Blick auf den Bahnhof Gesundbrunnen“ und „Die Straße“, welche die Dynamik der Metropole ahnen lassen; die gedrängte Staffelung von Gestalten sollte später sein Markenzeichen werden. Dann bricht der Erste Weltkrieg aus: Beckmann muss als Sanitäter an die Front, erleidet einen Nervenzusammenbruch – und lässt sich nach seiner Entlassung in Frankfurt am Main nieder. Allerdings fährt er oft nach Berlin: Hier trifft er seine Galeristen, hier findet er seine Motive.
Die Hölle als unentwirrbares Knäuel
Und damit zu seinem einzigartigen Stil, den er „transzendente Sachlichkeit“ nennt; etwa im Lithographie-Zyklus mit dem Titel „Die Hölle“ von 1918/9. Die Apokalypse ist Programm: Groteske Gestalten in irrwitzigen Verrenkungen tummeln sich im Bildraum – nicht einzeln und isoliert wie bei George Grosz oder Otto Dix, sondern hoffnungslos verhakt und verknotet. Ein unentwirrbares Knäuel von Gesten und Gerätschaften, stachlig wie ein Igel, zerstückelt wie ein Scherbenhaufen.
Drei Jahre später haben sich in der Grafik-Mappe „Berliner Reise“ zwar die Formen etwas beruhigt, doch die Verhältnisse sind umso heilloser: Zweifach gähnen „Die Enttäuschten“ ungeniert, Bettler und Schornsteinfeger gleichen Lemuren aus der Unterwelt. Das berühmte Blatt „Nackttanz“ zeigt die wohl freudloseste striptease-Kaschemme, die je im Bild festgehalten wurde.
Via Paris + New York zum Star-Künstler werden
Paradoxerweise hat Beckmann zugleich auch die kühle Eleganz und das nervöse Lebensgefühl der „Goldenen Zwanziger Jahre“ so prägnant eingefangen wie kaum ein anderer. Vor allem in seinen Selbstporträts: sei es „mit Sektglas“ 1919 oder „vor rotem Vorhang“ 1923: Seine Abendgarderobe ist makellos, die Gestik geziert. Sein selbstsicherer, etwas arroganter Blick geht am Betrachter vorbei und verliert sich im Ungefähren – visionär oder orientierungslos?
Trifft Beckmann diese Atmosphäre so genau, weil er nur zu Besuch in die Hauptstadt kommt? Ähnlich heutigen Nachfolgern, die Berlin als glamouröse Kulisse für Messeauftritte und Vernissagen nutzen, aber in der Provinz arbeiten? Jedenfalls gelingt Beckmann jetzt, was er vor dem Krieg nicht vermochte: Er wird zum allseits anerkannten Starkünstler. Mithilfe seiner Galeristen, die ihn auch in Paris und New York erfolgreich vertreten – noch eine Parallele zur Gegenwart: Den hiesigen Ruhm von Gerhard Richter und Neo Rauch haben reiche US-Sammler kräftig befördert.
Mäzenin verhüllt Beckmann-Bild vor Nazis
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Besprechung der Ausstellung "Dix/Beckmann: Mythos Welt" in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, München
und hier ein Beitrag über den Dokumentarfilm "Max Beckmann – Departure" über sein gleichnamiges Hauptwerk im MoMA in New York von Michael Trabitzsch
und hier eine Rezension der Ausstellung "Tanz auf dem Vulkan" über "Das Berlin der Zwanziger Jahre im Spiegel der Künste" im Ephraim-Palais, Berlin.
Was ihm vier Jahre lang gelingt; in ihnen schafft er einige Hauptwerke, etwa die Triptychen „Departure/ Abfahrt“ (1932/33) und „Versuchung“ (1936/7); beide fehlen in der Ausstellung. Stattdessen wird das stilistisch vergleichbare Gemälde „Der Leiermann“ (1935) gezeigt: ein Ensemble voluminöser, stark konturierter Figuren in rätselhafter Konstellation. Das Bild gehörte Beckmanns Freundin und Mäzenin Lilly von Schnitzler, deren Mann im IG-Farben-Vorstand saß. Sie verbarg es hinter einem Vorhang; der blieb zu, wenn Nazi-Größen im Haus waren.
Als Berliner in Frankfurt wohnen
Aus der inneren Emigration musste das Paar 1937 in die äußere wechseln; zwei Tage nach ihrer Flucht begann die Femeschau „Entartete Kunst“ mit 22 Werken des Künstlers. Bis 1947 blieben beide in Amsterdam, danach emigrierten sie in die USA.
Zwar hat Beckmann insgesamt nur 14 Jahre in Berlin verlebt, und es waren nicht seine erfolgreichsten. Dennoch kreist sein gesamtes Werk, wie diese Ausstellung mustergültig vorführt, stilistisch und thematisch um das Geschehen in der Hauptstadt. Er trug sie stets mit sich, wie er 1924 in einer Selbstbeschreibung einräumte: „Beckmann ist Berliner, wohnt aber in Frankfurt am Main.“