66. Berlinale

Wegen Überfüllung geschlossen

Szenenbild aus: Smrt u Sarajevu - Death in Sarajevo von Danis Tanović: Großer Preis der Jury. Fotoquelle: Berlinale.de
Die Berlinale platzt aus allen Nähten. Während die Massen gucken, was sie kriegen können, pflegen Filmauswahl und Jury die Eigenreklame eines politisch engagierten Festivals. Anstatt abzukassieren, sollte es endlich wieder den Berlinern entgegen kommen.

Herr Kosslick sucht das Glück

 

Da wirkt es wie Hohn, dass Direktor Dieter Kosslick für das diesjährige Festival das Motto „Recht auf Glück“ ausrief. Eine so wohlklingende wie folgenlose Floskel; Variationen von „Wir schaffen das!“ wären passender gewesen: Filme über Migration und die arabische Welt dominierten in allen Sektionen. Im Wettbewerb gewann „Fuocoammare“, eine eher karge Doku von Gianfranco Rosi über Flüchtlinge und Einheimische auf der süditalienischen Insel Lampedusa, den Goldenen Bären – wie allseits erwartet.

 

Der Silberne Bären für den besten Darsteller ging an Majd Mastoura im tunesischen Film „Hedi“, obwohl er drei Viertel der Laufzeit dieselbe regungslose Miene zur Schau trägt. Und den Alfred-Bauer-Preis für einen „Spielfilm, der neue Perspektiven eröffnet“, erhielt ausgerechnet „A Lullaby to the Sorrowful Mystery“. Regisseur Lav Diaz lässt acht Stunden lang Szenen der philippinischen Revolution von 1896/7 in schwarzweißen Standbildern mit papiernen Dialogen nachstellen; dieser Preisträger verschwindet vermutlich sofort im Archiv. Je kommerzieller die Berlinale wird, um so demonstrativer streicht sie ihre Eigenreklame als politisch engagiertes Festival heraus.

 

Kamera-Bär für Jangtse-Flussfahrt

 

Nachdem der political correctness Genüge getan war, durften die übrigen Bären tatsächlich herausragende kinematographische Leistungen honorieren: Für seine schillernde Historien-Groteske „Tod in Sarajevo“ erhielt der bosnische Regisseur Danis Tanović ebenso verdient den „Großen Preis der Jury“ wie die Französin Mia Hansen-Løve den Preis für die beste Regie in „L´avenir“ („Die Zukunft“) – mit Isabelle Huppert als vereinsamender Philosophie-Lehrerin.

 

Ähnlich anrührend stellt Trine Dyrholm in „Die Kommune“ eine dänische TV-Sprecherin dar, die von ihrem Mann für eine junge Nebenbuhlerin verlassen wird; dafür wurde sie als beste Darstellerin ausgezeichnet. Gleich vier Frauen im Polen der Umbruchzeit 1989/90 porträtiert Tomasz Wasilewski in „United States of Love“ – prämiert für das beste Drehbuch. Und der Silberne Bär für die beste Kamera ging zurecht an Mark Lee Ping-Bing: Er zeigt in „Crosscurrent“ („Gegenströmung“) den Jangtse-Fluss, Chinas Lebensader, auf zuvor nie gesehene Weise.

 

Bitte mehr Berlinale goes Kiez

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Festival-Bilanz der 65. Berlinale 2015: “Jahres-Hauptversammlung der Berlinale AG”

 

und hier den Beitrag „Neuer Deutscher Film – 50 Filmplakate“ – Ausstellung zur 65. Berlinale 2015 im Haus der Berliner Festspiele.

 

und hier eine Festival-Bilanz der 64. Berlinale 2014: "Atmosphäre nur in der Warteschlange".

 

Bleibt zu hoffen, dass viele der Preisträger-Filme einen deutschen Verleih finden werden, denn der Anteil der Festival-Besucher, die sie tatsächlich zu Gesicht bekommen, sinkt ständig. Die Berlinale steht am Scheideweg. Entweder folgt sie dem Vorbild Cannes, bekennt sich zum Primat der Ökonomie und bespielt nur noch die Kapazitäten, die der wuchernde EFM übrig lässt.

 

Oder die Berlinale besinnt sich auf ihren Bildungsauftrag: möglichst vielen Menschen so viele Filme wie möglich zugänglich zu machen. Dazu bietet Berlin mit 80 Kinos und 200 Leinwänden genug Ressourcen; das Festival bräuchte nur die vor Jahren halbherzig eingeführte Sektion „Berlinale goes Kiez“ auszuweiten. Also nicht nur je zwei bis drei Vorführungen in sieben übers Stadtgebiet verteilten Kinos zeigen, sondern viele attraktive Festival-Filme in wesentlich mehr Kinos – zumindest an den derzeit überlaufenen Abend- und Wochenend-Terminen.

 

Das Festival den Berlinern!

 

Soviel Flexibilität wäre problemlos machbar, und die Berlinale bliebe nicht nur auf die Innenstadt beschränkt. Dann käme nicht nur ein Teil ihres Geldsegens bei den oftmals darbenden Kiezkino-Betreibern an. Das Festival würde auch endlich wieder diejenigen erreichen, die in jedem Februar den ganzen Rummel über sich ergehen lassen, aber die Jagd nach den schwer zu ergatternden Eintrittskarten längst aufgegeben haben: normale Berliner.