Alexis Alexiou

Mittwoch 04:45

Clubbesitzer Stelios (Stelios Mainas) steht vor dem Bankrott – geschäftlich und privat. Foto: Neue Visionen Filmverleih
(Kinostart: 4.2.) Von Weihnachtsbäumen beleuchtete Höllenfahrt: Seinen Thriller über einen Mafia-Schuldner inszeniert der griechische Regisseur Alexis Alexiou als packende Parabel auf den Niedergang des ganzen Landes – ein Hongkong-Gangsterepos aus Athen.

„Du hast es verkackt!“ – diesen Satz wird Club-Besitzer Stelios im Laufe der nächsten 36 Stunden öfter hören. Der vermeintliche Freund, der ihm das sagt, ist daran mitschuldig. Stelios (wunderbar stoisch: Stelios Mainas) bleibt noch eine Galgenfrist von eineinhalb Tagen, um seinen Live-Jazzclub in Athen vor der feindlichen Übernahme zu retten. 17 Jahre zuvor hatte sich der Endvierziger seinen Lebenstraum erfüllt; seither betreibt er den Laden mit viel Herzblut, Ausdauer und Geschmack.

 

Info

 

Mittwoch 04:45

 

Regie: Alexis Alexiou,

116 Min., Griechenland/ Deutschland/ Israel 2015;

mit: Stelios Mainas, Adam Bousdoukos, Mimi Branescu

 

Weitere Informationen

 

Wahrscheinlich sind die auftretenden Musiker wie das „Belgrad Jazz Quintett“ und er selbst die Einzigen, die das zu würdigen wissen. Als Folge der griechischen Wirtschaftskrise erscheinen immer weniger Gäste. Doch bisher kam der Besitzer immer über die Runden; vor allem durch „inoffizielle Darlehen“ eines rumänischen Finanzhais, die ihm sein Freund vermittelt hat.

 

Banken geben kein Bargeld heraus

 

Die Geduld des Rumänen ist nun am Ende: Stelios soll die inzwischen aufgelaufene Summe von rund 150.000 Euro auf einen Schlag zurückzahlen. Ihm nützt nichts, dass sich in seinem Büro 40.000 Euro an uneinlösbaren Schecks stapeln: Die Banken geben kein Bargeld heraus. Da kann ihm auch sein Freund, der in einer arbeitet, nicht helfen. Wenn Stelios den Betrag nicht bis zum nächsten Tag auftreiben kann, verliert er seinen Club.

Offizieller Filmtrailer


 

Koksdealer will mit Marihuana beruhigen

 

Beim Versuch, irgendwie zu retten, was zu retten ist, muss er zu sehr unorthodoxen Mitteln greifen. Das führt ihn immer tiefer in die Athener Unterwelt. Die besteht aus langen Tunneln, nächtlichen Autobahnen, abgewohnten Straßen und tristen strip-Schuppen, die „Wall Street“ oder „Alcatraz“ heißen und in denen Männer nur unter Pseudonymen bekannt sind.

 

Die Farben verschwimmen zur grellen Masse in Neonbleich oder Glühbirnengelb. Tageslicht blendet nur; als Erinnerung an das echte Leben mit Frau und Kind, von dem sich Stelios innerlich schon lange verabschiedet hat. Sein Koksdealer sieht ihn vermutlich öfter als seine Familie; er will seinem Kunden sogar eine Tüte Marihuana schenken – zur Beruhigung. Die würde ihm aber auch nicht mehr helfen.

 

Film noir + Schwarze Serie + Hongkong-Krimi

 

Beruhigen wird sich Stelios erst mehrere Stunden nach 4:45 Uhr, dem Zeitpunkt des Treffens mit dem Rumänen (Mimi Branescu); es ist zugleich die vorletzte Station im wuchtigem Thriller von Alexis Alexiou. Der griechische Regisseur entwirft mit ökonomischen Mitteln das mitreißende Porträt eines Kleinunternehmers, dem allmählich alles entgleitet.

 

Ihm rennt die Zeit unaufhaltsam davon, wie der Film mit Angaben der genauen Uhrzeit in Erinnerung ruft. In diesen 36 Stunden wird Stelios nicht schlafen; für ihn verschwimmt die Realität mit immer wieder einsetzenden Halluzinationen. Sein letztes Aufbäumen vor der Katastrophe inszeniert Regisseur Alexiou als Mischung aus klassischen französischen films noirs oder US-Thrillern der „Schwarzen Serie“ und neueren gangster-Epen aus Hongkong, dessen Kino die Kamera-Ästhetik sichtlich beeinflusst hat.

 

Im Regen zu Jazz tanzen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films „Sto Spiti – At Home“ – resignatives Sozialdrama aus Griechenland von Athanasios Karanikolas

 

und hier einen Bericht über den Film "A Blast - Ausbruch" - Drama über junge Griechin von Syllas Tzoumerkas

 

und hier einen Beitrag über den Film "Attenberg" - bizarres Coming-of-Age-Drama in der griechischen Dauerkrise von Athina Rachel Tsangari.

 

Während Stelios kurz vor dem Kollaps steht, wird er noch vom Rumänen angeheuert, um bei einem Bordell-Besitzer etwas abzuholen und woanders abzuliefern. Da Weihnachten vor der Tür steht, leuchten überall in der Stadt Weihnachtsbäume, quasi als Flammenzeichen: Stelios‘ Höllenfahrt in die Tiefen der Unterwelt oder des antiken Hades lässt sich symbolisch als Parabel für ganz Griechenland verstehen. Wie sein fragiler Lebensentwurf, der windig finanziert war und nun wie ein Kartenhaus zusammenbricht; Lavieren hilft nicht mehr.

 

In dieser Tristesse gibt es dennoch heitere Zwischentöne; etwa der Blödsinn, den die nicht sonderlich hellen Ganoven reden, mit denen die Hauptfigur durch die Stadt fahren muss. Auch der showdown am Ende entbehrt nicht einer gewissen Komik: Als der Rumäne ankündigt, sein Sohn werde den Club übernehmen, verkündet dieser, künftig ganz andere Musik spielen zu wollen; zu Jazz könne keiner tanzen.

 

Dass es doch geht, merken er und die übrigen Kleinganoven zu spät: unfreiwillig im strömenden Regen. Stelios‘ Triumph hat einen hohen Preis; seine Freiheit kann er nicht lange genießen. Aber es wird endlich wieder hell, und er kann sich ausruhen.