Carey Mulligan

Suffragette – Taten statt Worte

Maud (Carey Mulligan) wird verhaftet und abgeführt. Foto: © Concorde Filmverleih
(Kinostart: 4.2.) One Woman, one Vote: Vor 100 Jahren kämpften britische Frauen militant für ihr Wahlrecht. Ihre Bewegung stellt Regisseurin Sarah Gavron in den üblichen dramatischen Standard-Situationen dar; als fiktive Heldin glänzt Carey Mulligan.

Politikverdrossenheit und Wahlmüdigkeit gab es schon vor 100 Jahren. Doch zugleich kämpften in vielen Ländern Menschen für ihre politischen Mitspracherechte durch Stimmabgabe; das wurde Frauen – und meist auch Männern ohne Vermögen – fast überall verwehrt. Besonders militant verliefen die Auseinandersetzungen um das Frauenwahlrecht in Großbritannien.

 

Info

 

Suffragette –
Taten statt Worte

 

Regie: Sarah Gavron,

106 Min., Großbritannien 2015;

mit: Carey Mulligan, Helena Bonham Carter, Meryl Streep

 

Website zum Film

 

Dort machte die 1903 gegründete Suffragetten-Organisation „Women’s Social and Political Union“ (WSPU) mit munterem Aktionismus gemäß ihres Wahlspruchs „Taten statt Worte“ auf sich aufmerksam. Bis sie ihr Ziel erreichte, sollte es ein Vierteljahrhundert dauern: Erst 1928 wurde im Vereinigten Königreich das allgemeine und gleiche Wahlrecht für beide Geschlechter ab der Volljährigkeit eingeführt.

 

Ausstattung wirkt gegenwärtig

 

Diese Episode der kämpferischen Frauenbewegung war bislang im Kino unterbelichtet; das ändert nun der Film von Regisseurin Sarah Gavron. Sie inszeniert ihn in einem – dem politischen Thema angemessenen – journalistischen look; er lässt die gediegene Ausstattung durch lange Brennweiten und entsättigte Farben weniger historisierend als gegenwärtig aussehen.

Offizieller Filmtrailer


 

Großwäscherei als Industrie-Hölle

 

Dazu passen die sorgfältig ausgewählten Darsteller wie Helena Bonham Carter oder die großartige Anne-Marie Duff; ihre verhärmten Gesichter verkörpern glaubwürdig damaliges Frauenleben mit seinen Härten. Im Mittelpunkt steht die überragende Carey Mulligan: Sie spielt das anfangs eher farblose Arbeitermädchen Maud Watts, das eher versehentlich als voller Enthusiasmus in die Mühlen der Geschichte gerät.

 

Seit ihrer Kindheit arbeitet Maud unter entwürdigenden Bedingungen in einer Londonder Großwäscherei; dort muss sie gesundheitsgefährdende Dämpfe ebenso ertragen wie sexuelle Übergriffe des Chefs. Der Film beginnt in London 1912 mit einer beeindruckenden, von stampfenden Maschinenrädern begleiteten Kamerafahrt in diese industrielle Hölle.

 

Von der Demo ins Parlament

 

Dann umreißen einige programmatische Zitate von WSPU-Gründerin Emmeline Pankhurst die Sach- und Problemlage. Bald ist Maud mitten im frauenbewegten Geschehen: Bei einem Botengang gerät sie zufällig in eine Demonstration, die von der Polizei zusammengeprügelt wird. Maud schließt sich den Kämpferinnen an und findet sich ähnlich unverhofft bei einer Anhörung im Parlament wieder: In Gegenwart von Premierminister Lloyd George erzählt sie von ihrem Arbeitsalltag.

 

Auf einer weiteren Handlungs-Ebene schildert der Film das Familienleben von Maud; sie haust mit ihrem Ehemann Sonny (Ben Wishaw) und Kind in engen und düsteren Verhältnissen. Wenig überraschend reagiert ihr Gatte auf Mauds emanzipatorische Bestrebungen mit patriarchalem Unwillen.

 

Mehr Familienstreit als politischer Kampf

 

Irritierenderweise rückt aber dieser Erzählstrang mitsamt melodramatischen Verwicklungen immer mehr in den Vordergrund: Sonny wirft sie aus der Wohnung, nimmt ihr den Sohn weg und gibt ihn zur Adoption frei. Damit werden die politischen Auseinandersetzungen zur Staffage, um davor die üblichen dramatischen Standardsituationen auszubreiten. Dazu passt, dass Meryl Streep als WSPU-Anführerin Emmeline Pankhurst mit einem – allerdings prägnanten – Kurzauftritt abgespeist wird.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Besprechung des Films "Am grünen Rand der Welt"  - viktorianisches Liebesdrama nach Thomas Hardys Romanklassiker mit Carey Mulligan von Thomas Vinterberg

 

und hier einen Bericht über den Film Albert Nobbs - sozialkritisches Drama über das Frauenbild der viktorianischen Ära von Rodrigo García mit Glenn Close 

 

und hier einen Beitrag über den Film „In guten Händen – Hysteria“ von Tanya Wexler über die Erfindung des Vibrators im England der 1880er Jahre.

 

Natürlich kann eine Randperspektive auf bekannte Ereignisse durchaus erhellend sein. Dennoch bleibt rätselhaft, warum die viel beschäftigte Drehbuch-Autorin Abi Morgan anstelle der fiktiven Figur Maud nicht eine der schillernden realen WSPU-Aktivistinnen wie Emily Davison ins Zentrum stellt; ihr spektakulärer Märtyrer-Tod 1913 beim Pferderennen „Epsom Derby“ beschließt den Film.

 

Special interest one issue movie

 

Zuvor wird die politische Agenda der Suffragetten auf ein paar markante frauenrechtlerische statements und Diskussionen um die Gewaltfrage reduziert. Um die Zuschauer emotional anzusprechen, betont Regisseurin Gavron neben Mauds häuslichen Konflikten auch die soziale Frage stark; dagegen kamen die historischen Suffragetten eher aus dem Bürgertum.

 

Ebenso breit ausgestellt wird die staatliche Repression der Bewegung: mit damals soeben erfundenden Überwachungs-Fotos und Zwangsernährung im Gefängnis. Der Maud nachstellende Polizei-Inspektor (Brendan Gleeson) sympathisiert zugleich mit ihr; als einziger Staats-Vertreter, der etwas differenzierter gezeichnet ist. So wird “Suffragette” zum one issue movie fürs special interest-Publikum; Regisseurin Gavron versucht nicht einmal, jenseits der schlichten Botschaft eine filmische Form für komplexe Realitäten zu finden.