Jena

Afterimages – Nachhall der Schwarzen Romantik in der Film- und Videokunst

Szenenbild aus: Quay Brothers: Stille Nacht III – Tales From Vienna Woods, Digitalisierter 35mm-Film, 4:18 min., Fotoquelle: ohe
Reise durch das Unbewusste in zwölf Videofilmen: Wie Ansätze und Motive der Schwarzen Romantik in der zeitgenössischen Multimedia-Kunst fortwirken, zeigt die Kunstsammlung mit einer klugen Auswahl schaurig schöner, Schwindel erregender Beispiele.

Zur Romantik hat Jena ein inniges Verhältnis – die ostthüringische Stadt war eines ihrer Zentren. Hier lebten Ende des 18. Jahrhunderts kluge Köpfe aus ganz Deutschland: die Brüder Schlegel, Hölderlin, Novalis, Brentano und Ludwig Tieck. Goethe kam häufig her; Schiller lehrte an der Universität, die heute nach ihm benannt ist. Das Jenaer Romantikertreffen im Herbst 1799 ging in die Kulturgeschichte ein.

 

Info

 

Afterimages – Nachhall der Schwarzen Romantik in der Film- und Videokunst

 

05.12.2015 - 03.04.2016
täglich außer montags
10 bis 17 Uhr, donnerstags
15 bis 22 Uhr, am Wochenende 11 bis 18 Uhr
in der Kunstsammlung, Markt 7, Jena

 

Katalog 20 €

 

Weitere Informationen

 

Kein Wunder, dass die Kunstsammlung im Stadtmuseum öfter versucht, unter der nostalgischen Patina der Romantik ihre Aktualität freizulegen – etwa mit der Ausstellung „Afterimages“. Sie sucht in einem Dutzend Werken zeitgenössischer Videokunst nach Einflüssen der so genannten Schwarzen Romantik; einer so ambivalenten wie attraktiven Strömung.

 

Mächtig anziehende Abgründe

 

Die Schwarze verhält sich zur mainstream-Romantik ähnlich wie die Schwarze zur Weißen Magie: abgründig schillernd, moralisch bedenklich – und gerade dadurch ungeheuer mächtig und anziehend. In der Schwarzen Romantik wurde erstmals Unheimliches und Schauriges kunstfähig: Johann Heinrich Füssli malte Hexen und Gespenster, E.T.A. Hoffmann und „Frankenstein“-Erfinderin Mary Shelley beschrieben Phantome und Monster. Damals wurde alles Makabre erfunden, das Vampirfilme oder gothic-Szene bis heute prägt.

 

Geier plündern Freiluft-Festmahl

 

Mit deren plakativer Schock-Ästhetik hält sich Kurator Robert Seidel nicht auf. Ihm geht es um subtilere Spuren einer Geisteshaltung, die Irrationales, dunkle Sehnsüchte und Melancholie in vieldeutigen Bildern einfängt. Das verbindet alle zwölf präsentierten Videofilme, so unterschiedlich sie ansonsten ausfallen mögen. Und der verwinkelte Ausstellungs-parcours aus Gängen und Kabinetten im Halbdunkel verstärkt diesen Eindruck – als streife man in den Katakomben des Unbewussten umher.

 

Schon der Auftakt ist eine drastische Lektion über unmäßige Leidenschaft: der Gier. Vor idyllischer Naturkulisse richtet die Spanierin Greta Alfaro ein Gastmahl für Geier aus. „In Ictu Oculi“, so der Titel (etwa: „Im Nu eines Wimpernschlags“), fallen die Raubvögel scharenweise darüber her – nach wenigen Minuten bleiben von der festlich gedeckten Tafel nur noch Fetzen übrig.

 

Motorisierte Plastikteile simulieren Schändung

 

Erotisches Begehren stellt die Schwedin Nathalie Djurberg als Stopptrick-Film mit Plastilin-Figuren nach. Fuchs und Bär streiten um die Gunst einer Jungfer, die sich mal sträubt, mal willig hingibt. Als wär’s ein Märchen der Brüder Grimm, deren vermeintlich jugendfreie Fabeln ähnlich sexuell aufgeladen sind. Die camouflage im Tiergewand macht es möglich: In derselben Manier hat Djurberg schon Folterszenen von De Sade inszeniert.

 

Das gleiche Thema greift Susann Maria Hempel auf, kehrt aber die Perspektive um: Die Erzählung eines Gewaltopfers auf der Tonspur bebildert Hempel mit einer verstörenden collage aus Tierfiguren und Puppenteilen in rasender, scheinbar obszöner Aktion. Es sind nur rot beschmierte Plastik-Fragmente und Mini-Motoren, flackernd beleuchtet – doch unwillkürlich imaginiert der Betrachter grausame Schändung. Ein abgefeimt raffiniertes Spiel mit der Einbildungskraft.

 

Zeitlupen-Kugel erlegt Hirsch-Geist

 

Meister der morbiden Illusionen sind die Quay Brothers: In einer gerechten Welt hätten ihre vor Fantasie und Originalität überbordenden Trick-Stummfilme, die meist literarische Vorlagen umsetzen, mehr Zuschauer als alle Disney- und Pixar-Produktionen zusammen. Hier sind die US-Zwillinge mit „Stille Nacht III“ von 1992 vertreten: Im Museum erwacht der Geist eines Hirsches und erlebt seinen eigenen Tod durch eine in Zeitlupe fliegende Gewehrkugel. Dazu erklingen ein verlangsamter Walzer von Johann Strauss und russische Sätze im Kurzwellenradio – ein herrlich absurder Augen- und Ohrenschmaus.

 

Auf einem Stummfilm-Drama von 1926 beruht der Beitrag von Bill Morrison: Der US-Künstler hat das stark gealterte Original-Filmmaterial abgelichtet. Kratzer, Verfärbungen, Schlieren und chemische Zersetzung lassen die Bilder geisterhaft unwirklich werden; kaum erkennbare Schemen gemahnen an Erscheinungen aus einer anderen Welt.

 

Alles schwankt, schlingert + gluckst

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Die Geister, die sie riefen …" über "Lust- und Angstphantasien" im Werk von Johann Heinrich Füssli + dem Grafiker Horst Janssen im Horst-Janssen-Museum, Oldenburg

 

und hier einen Beitrag über die Ausstellung “Schwarze Romantik: Von Goya bis Max Ernst” im Städel Museum, Frankfurt/Main

 

und hier eine Besprechung der Ausstellung „Die Halluzinierte Welt“ über "Malerei am Rande der Wirklichkeit" im Haus am Lützowplatz, Berlin

 

und hier einen Bericht über die Ausstellung "Von mehr als einer Welt" über die Nachtseite der “Künste der Aufklärung” im Kulturforum, Berlin.

 

Die wollte Anfang des 20. Jahrhunderts der französische Maler Augustin Lesage, der sich als Werkzeug höherer Mächte fühlte, in kleinteiligen Ornamenten auf die Leinwand bannen. Dem Spiritualisten widmet Max Hattler ein technoides Video-Denkmal: Computergenerierte Grafiken aus lauter rotierenden Elementen streben ständig nach oben. Ihr visueller Sog wirkt Schwindel erregender als eine Armada aus Glücksspiel-Automaten.

 

Den Boden unter den Füßen verliert man auch bei der Arbeit von William Larson: Er hat die Einsiedelei nachgebaut, in der Henry David Thoreau 1854 sein berühmtes Öko-Manifest „Walden“ schrieb. Durch winzige Löcher fällt Licht in die schwimmende Hütte. Es projiziert wie bei einer camera obscura die Außenwelt seitenverkehrt an die Wand: Alles schwankt, schlingert und gluckst.

 

Pandämonium der Wasserläufe

 

Eine Welt am und aus Wasser simuliert ebenso Ulu Braun: Der deutsche Künstler montiert aus TV-Aufnahmen von Flüssen, Buchten und Seen ein Video-Panorama, das wie ein digitales Rollbild langsam am Betrachter vorbeizieht. Als Pandämonium jedes vorstellbaren Ge- und Missbrauchs; von Fischfang über Wasserballett bis zu Giftmüll-Kloaken – eine schrecklich schöne Falschfarben-Symphonie.

 

Nicht alle Exponate sind derart beeindruckend: Fade Langzeit-Aufnahmen und sterile Grafiksimulationen finden sich gleichfalls. Doch insgesamt führt die Ausstellung eine enorme Bandbreite von Ansätzen und Motiven vor, die offenkundig in der Tradition der Schwarzen Romantik stehen. Was der Schau mit einer klugen Auswahl von nur zwölf Beispielen gelingt – das Fragmentarische gehört zum Wesen dieser Kunstrichtung.