
Beim Stichwort Kosovo denkt man zuerst an Krieg, Armut und Flucht. Als Produktions-Land für Filme ist die kleine Balkan-Republik bislang kaum aufgefallen, zumal sie erst seit acht Jahren existiert: Sie wurde nach ihrer einseitigen Unabhängigkeits-Erklärung von Serbien im Februar 2008 seitdem von 110 Staaten anerkannt.
Info
Babai – Mein Vater
Regie: Visar Morina,
104 Min., Kosovo/ Deutschland 2015;
mit: Val Maloku, Astrit Kabashi, Adriana Matoshi
Vater lässt Sohn sitzen
Beide wohnen gemeinsam mit der übrigen Verwandtschaft im Haus eines gewalttätigen Großonkels. Der Patriarch führt ein strenges Regime, dem der Vater möglichst schnell Richtung Deutschland entfliehen möchte. Irgendwann hat er den Betrag für eine Busfahrkarte zusammengekratzt; seinen Sohn Nori lässt er bei den ungeliebten Verwandten sitzen.
Offizieller Filmtrailer OmU
Regisseur kam als 14-Jähriger nach Deutschland
Verletzt und wütend folgt ihm der Junge auf eigene Faust; das nötige Geld für die Reise stiehlt er seinem Onkel. Als Nori seinen Vater endlich wieder gefunden hat, setzten sich die Probleme zwischen beiden fort; auch in Westeuropa wird ihr Leben kaum besser.
Regisseur Morina kam 1993 als 14-Jähriger aus dem Kosovo in die Bundesrepublik; in seinem Film verarbeitet er selbst Erlebtes oder Ereignisse aus seinem Umfeld. Dabei macht er die lähmende Vorkriegs-Agonie im Kosovo und die dortige Verrohung der Gesellschaft unsentimental und dadurch umso eindrücklicher erlebbar.
Onkel prügelt erwachsenen Sohn
Ständige Bedrohungen überschatten sämtliche menschliche Beziehungen und gestatten kein normales Sozialleben mehr. Mit Noris Augen sieht man, wie einst ernst gemeinte Höflichkeiten zu leeren Floskeln werden. Oder: Wie der Onkel seinen erwachsenen Sohn verprügelt, während alle anderen Familienmitglieder wegsehen und weiter essen.
Alle Menschen versagen, die den kleinen Nori eigentlich beschützen sollten; echte Zuwendung erlebt er nur selten. Sie entpuppt sich manchmal als reiner Eigennutz: Die Nachbarsfrau lässt den Jungen nur bei sich übernachten, um ihm sein Geld für die Reise abzunehmen. Mit brutaler Deutlichkeit erlebt er, dass er sich auf niemanden verlassen kann.
Exil aus Bahndämmen + Zäunen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films “Djeca – Kinder von Sarajevo“ – Drama über Kriegswaisen in Bosnien von Aida Begić
und hier einen Bericht über den Film „Der serbische Anwalt“ – Doku über den Verteidiger von Bosnienkriegs-Verbrecher Karadžić von Aleksandar Nikolić
und hier einen Beitrag über den Film „Der Albaner“ – Immigrations-Thriller über die Kriminalisierung eines Kosovaren in Deutschland von Johannes Naber.
Normalität und Geborgenheit gibt es aber auch nicht im Exil; Vater Gezim darf seinen Sohn nicht einmal in die Unterkunft mitnehmen. Deutschland besteht aus Bahndämmen, Zäunen und Massenunterkünften; herzlose Erwachsene betreiben Dienst nach Vorschrift. Die offensichtliche Hilflosigkeit des Vaters macht es nicht besser.
In brutale Welt katapultiert
Dieses Elend schildert der Film mit reduzierten Mitteln und teilweise fragmentarisch. Ohne Erklärung wird der Zuschauer in Noris brutale Welt katapultiert, sieht dem Knaben dabei zu, wie er stoisch alles erträgt, und teilt seine Wut auf heillos überforderte Erwachsene und die restliche Welt.
Seine offenbar persönliche Geschichte erzählt Regisseur Morina ohne Pathos oder Gefühlsduselei mit beängstigend kühlem Blick. Diese Kälte wirkt umso beunruhigender, wenn man an die vielen Kinder denkt, die derzeit auf der Flucht sind. So wird diese vergangene Geschichte eine hochaktuelle und dadurch nicht minder verstörend.