Visar Morina

Babai – Mein Vater

Nori (Val Maloku) beobachtet Auswanderer beim Grenzübertritt. Foto: missingFILMs
(Kinostart 10.3.) Kein Glück, nirgends: Ein Kosovo-Junge haust bei brutalen Verwandten und schlägt sich nach Deutschland durch – zum hilflosen Vater. Regisseur Morina zeigt mit kühlem Blick und reduzierten Mitteln das Los etlicher Balkan-Emigranten.

Beim Stichwort Kosovo denkt man zuerst an Krieg, Armut und Flucht. Als Produktions-Land für Filme ist die kleine Balkan-Republik bislang kaum aufgefallen, zumal sie erst seit acht Jahren existiert: Sie wurde nach ihrer einseitigen Unabhängigkeits-Erklärung von Serbien im Februar 2008 seitdem von 110 Staaten anerkannt.

 

Info

 

Babai – Mein Vater

 

Regie: Visar Morina,

104 Min., Kosovo/ Deutschland 2015;

mit: Val Maloku, Astrit Kabashi, Adriana Matoshi

 

Weitere Informationen

 

„Babai – Mein Vater“, das Langfilm-Debüt des 37-jährigen Regisseurs Visar Morina, spielt im Kosovo der 1990er Jahre – vor dem bürgerkriegsartigen Konflikt mit Serbien. Auf den Straßen der Hauptstadt Prishtina verkauft der zehnjährige Nori (Val Maloku) gemeinsam mit seinem Vater Gezim (Astrit Kabashi) Zigaretten; die Mutter hat sich aus dem Staub gemacht.

 

Vater lässt Sohn sitzen

 

Beide wohnen gemeinsam mit der übrigen Verwandtschaft im Haus eines gewalttätigen Großonkels. Der Patriarch führt ein strenges Regime, dem der Vater möglichst schnell Richtung Deutschland entfliehen möchte. Irgendwann hat er den Betrag für eine Busfahrkarte zusammengekratzt; seinen Sohn Nori lässt er bei den ungeliebten Verwandten sitzen.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Regisseur kam als 14-Jähriger nach Deutschland

 

Verletzt und wütend folgt ihm der Junge auf eigene Faust; das nötige Geld für die Reise stiehlt er seinem Onkel. Als Nori seinen Vater endlich wieder gefunden hat, setzten sich die Probleme zwischen beiden fort; auch in Westeuropa wird ihr Leben kaum besser.

 

Regisseur Morina kam 1993 als 14-Jähriger aus dem Kosovo in die Bundesrepublik; in seinem Film verarbeitet er selbst Erlebtes oder Ereignisse aus seinem Umfeld. Dabei macht er die lähmende Vorkriegs-Agonie im Kosovo und die dortige Verrohung der Gesellschaft unsentimental und dadurch umso eindrücklicher erlebbar.

 

Onkel prügelt erwachsenen Sohn

 

Ständige Bedrohungen überschatten sämtliche menschliche Beziehungen und gestatten kein normales Sozialleben mehr. Mit Noris Augen sieht man, wie einst ernst gemeinte Höflichkeiten zu leeren Floskeln werden. Oder: Wie der Onkel seinen erwachsenen Sohn verprügelt, während alle anderen Familienmitglieder wegsehen und weiter essen.

 

Alle Menschen versagen, die den kleinen Nori eigentlich beschützen sollten; echte Zuwendung erlebt er nur selten. Sie entpuppt sich manchmal als reiner Eigennutz: Die Nachbarsfrau lässt den Jungen nur bei sich übernachten, um ihm sein Geld für die Reise abzunehmen. Mit brutaler Deutlichkeit erlebt er, dass er sich auf niemanden verlassen kann.

 

Exil aus Bahndämmen + Zäunen

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films “Djeca – Kinder von Sarajevo – Drama über Kriegswaisen in Bosnien von Aida Begić

 

und hier einen Bericht über den Film „Der serbische Anwalt“ – Doku über den Verteidiger von Bosnienkriegs-Verbrecher Karadžić von Aleksandar Nikolić

 

und hier einen Beitrag über den Film „Der Albaner“ – Immigrations-Thriller über die Kriminalisierung eines Kosovaren in Deutschland von Johannes Naber.

 

So zeigt Regisseur Morina das frühe und abrupte Ende einer Kindheit – sowie das schwierige und enttäuschende Verhältnis der Hauptfigur zum Vater. Er ist nicht in der Lage, sich unter derart rauen Verhältnissen zu behaupten, und vernachlässigt seinen Sohn. Folglich attackiert ihn der Junge beim ersten Wiedersehen; schließlich hat er für ihn auf der waghalsigen Flucht sein Leben riskiert.

 

Normalität und Geborgenheit gibt es aber auch nicht im Exil; Vater Gezim darf seinen Sohn nicht einmal in die Unterkunft mitnehmen. Deutschland besteht aus Bahndämmen, Zäunen und Massenunterkünften; herzlose Erwachsene betreiben Dienst nach Vorschrift. Die offensichtliche Hilflosigkeit des Vaters macht es nicht besser.

 

In brutale Welt katapultiert

 

Dieses Elend schildert der Film mit reduzierten Mitteln und teilweise fragmentarisch. Ohne Erklärung wird der Zuschauer in Noris brutale Welt katapultiert, sieht dem Knaben dabei zu, wie er stoisch alles erträgt, und teilt seine Wut auf heillos überforderte Erwachsene und die restliche Welt.

 

Seine offenbar persönliche Geschichte erzählt Regisseur Morina ohne Pathos oder Gefühlsduselei mit beängstigend kühlem Blick. Diese Kälte wirkt umso beunruhigender, wenn man an die vielen Kinder denkt, die derzeit auf der Flucht sind. So wird diese vergangene Geschichte eine hochaktuelle und dadurch nicht minder verstörend.