
Vielen gilt ja die Familie als Hort von Sittlichkeit und Anstand – was schon im Alten Testament nicht stimmt. Manchmal nehmen verwandtschaftliche Bindungen eindeutig kriminelle Züge an, wie das Wort „Familienbande“ drastisch deutlich macht. Ein besonders eindrucksvolles Beispiel dafür war der berühmt-berüchtigte Clan der Puccios; ihre Verbrechen erregten im Argentinien der 1980er Jahre ungeheures Aufsehen.
Info
El Clan
Regie: Pablo Trapero,
110 Min., Argentinien/ Spanien 2015;
mit: Guillermo Francella, Peter Lanzani, Lili Popovich
Kollegen decken Ex-Geheimdienstler
Was ihm nicht gewährt wird. Seine Gefangenschaft ist Teil des Geschäftsmodells, mit dem sich Vater Arquímedes durch die krisengeschüttelte Endphase der argentinischen Militärdiktatur bringen will: Mit zwei Söhnen und einigen Kumpanen entführt er Unschuldige und erpresst Lösegeld. Dabei profitiert er von seinen Erfahrungen als ehemaliger Geheimdienstmann ebenso wie vom Schutz durch Ex-Kollegen, die immer noch an Schlüsselstellen im Apparat sitzen.
Offizieller Filmtrailer
Ausreden, Drohungen + Geldschein-Bündel
Und von den guten Kontakten seines Sohns Alejandro zu Kreisen der Elite, in denen er als Lockvogel eingesetzt wird. Er ahnt die ganze Brutalität dieses zynischen Geschäfts erst, als ein von ihm in die Falle gelockter Sportskamerad, für den Lösegeld gezahlt wurde, trotzdem ermordet aufgefunden wird. Seine Zweifel kontert der Papa mit Ausreden – später mit einem Mix aus Drohungen und dicken Geldschein-Bündeln.
Allerdings gerät das Junta-Regime 1982 nach dem verlorenen Falkland-Krieg zunehmend in die Defensive und muss im Jahr darauf abtreten. So verliert Arquímedes seine Hintermänner, die seine Machenschaften deckten. Er wähnt sich aber immer noch so unangreifbar, dass er die Warnungen seiner Kontaktperson ignoriert. Doch Alejandro will sich aus dem blutigen Familienbetrieb zurückziehen, um seinen eigenen Hausstand zu gründen.
Lautstarker Sex wechselt mit Opfer-Stöhnen
Für das Drehbuch hat Regisseur Pablo Trapero die Verbrechen der realen Familie Puccio gründlich recherchiert. Er erzählt den plot vom langsam durchdrehenden Patriarchen und seinem Sohn, der zwischen Gehorsam und Aufbegehren schwankt, als opulent melodramatischen Thriller, dessen Spannungsbogen viele kleine Zeitsprünge kreuzen.
In den einzelnen Episoden reiht der Film effektvoll Szenen des scheinbar heilen Familienlebens und krimineller Gewalt aneinander; das gipfelt in einer recht plakativen Parallelmontage von lautstarkem Sex und dem Stöhnen eines gequälten Opfers. Ähnlich kontrapunktisch wird die Musik eingesetzt: So geht das Geräuschinferno einer Verhaftung nahtlos in “Sunny Afternoon” von den Kinks über.
Silberner Löwen für die beste Regie
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Besprechung des Films „Der Perlmuttknopf“ – exzellenter Essay-Film über die Verfolgung von Indios + Oppositionellen in Chile von Patricio Guzmán
und hier einen Bericht über den Film “Wild Tales – Jeder dreht mal durch!” – schwarzhumoriger Episodenfilm aus Argentinien von Damián Szifrón
und hier einen Beitrag über den Film “Der deutsche Freund” von Jeanine Meerapfel über Folgen der NS-Vergangenheit in Argentinien.
Dadurch wurde „El Clan“ mit mehr als 2,6 Millionen Zuschauern zu einem der erfolgreichsten Filme aller Zeiten in Argentinien; beim Festival in Venedig 2015 erhielt er den Silbernen Löwen für die beste Regie. Auch hierzulande könnte die etwas andere Familiensaga ihr Publikum finden – obwohl kurze Nachrichten-Schnipsel, die den historischen Hintergrund erhellen sollen, für hiesige Zuschauer kaum ausreichen dürften.
Mama agiert als Hilfssheriff
Aber das ist nicht schlimm. Wie jeder gute Film erzählt auch “El Clan” von Wahrheiten, die über die spektakulären Verbrechen der Puccios und ihre zeitbedingten Umstände hinausreichen. Papa Arquímedes treibt in seinem kleinen Reich scheinbar ganz normale Familien- und Abhängigkeits-Verhältnisse auf die Spitze – wobei Mama (Lili Popovich) als Hilfssheriff agiert. Nur schade, dass neben Sohn Alejandro die übrigen Familienmitglieder erst gegen Ende eine größere Rolle spielen.