Phil Collins

Tomorrow is always too long

Eine Schülerin singt zu Klängen des "Royal Scottish National Orchestra". Foto: Rapid Eye Movies
(Kinostart: 17.3.) Nicht der "Genesis"-Musiker, sondern ein Namensvetter: Der Künstler Phil Collins komponiert aus zahllosen TV- und Video-Schnipseln eine Hommage an die Stadt Glasgow und ihre Bewohner – zwischen Sozialrealismus und Sozialromantik.

Um in Zeiten des Internets mit seiner globalen Verbreitung und Speicherung von digitalen Daten unerkannt zu bleiben, hilft ein möglichst häufiger Name. Personennamen wie John Smith und Michael Müller sind perfekt – kaum zu googeln, weil Hunderttausende so heißen. Oder man trägt den Namen einer Persönlichkeit, die berühmter ist als man selbst: Phil Collins zum Beispiel.

 

Info

 

Tomorrow is always too long

 

Regie: Phil Collins,

82 Min., Großbritannien 2014;

mit: Kate Dickie, Mick Harden, Molly Christie

 

Weitere Informationen

 

Da taucht auf den Trefferlisten der Suchmaschinen natürlich zuerst der britische Sänger und Schlagzeuger der Band „Genesis“ auf. Es gibt aber auch noch einen US-Pokerspieler namens Phil Collins, einen englischen Motorradrennfahrer und ein paar andere. Der bildende Künstler und Filmemacher Phil Collins hat wahrscheinlich nichts dagegen, im Meer der Datenströme unter ferner liefen zu treiben; schließlich hat er das Internet einmal als flach bezeichnet.

 

Interaktion stiftet keine Gemeinschaft

 

Mit der Gnade seiner frühen Geburt 1970 kann er sich das leisten; er ist kein digital native. So darf er kritisieren, was alle Gleichaltrigen am Internet beklagen: dass soziale Interaktion in der digitalen Welt keine gemeinschaftliche Erfahrung mehr sei, „weil die Menschen nicht gemeinsam dasselbe zur selben Zeit machen“.

Offizieller Filmtrailer OmU


 

Beruhigende PC-Festplatte

 
Diese Erkenntnis, die wohl auch fürs Fernsehen gilt, drückt Phil Collins in seinem neuen Film „Tomorrow Is Always Too Long“ aus. Er blickt in einer bunten Collage auf die Beziehungen von Menschen, sucht nach Momenten ihrer Begegnung und der gestörten Kommunikation – oft in den Parallelwelten von TV und cyberspace.

 

Da sucht etwa ein traurig dreinblickender junger Mann auf dating websites nach einem Partner. Eine verschleierte Wahrsagerin verheißt in einer TV-Verkaufsshow den Blick in die Zukunft, bietet Tarotkarten-, Kaffeesatzlesen und Aura-Analyse an. Doch auch ihre Welt, in der sie als Prophetin agiert, erscheint schal und erlebnisarm: „Der Klang einer hochfahrenden Festplatte beruhigt“, stellt sie nüchtern fest – da hilft wohl auch keine Magie mehr.

 

Amor würde in Glasgow entwaffnet

 
Schön ist auch die Geschichte, die in einer der vielen talkshow-Sequenzen erzählt wird: Ein ältere Dame erzählt die Legende, wie Amor mit Pfeil und Bogen die Menschen zu Liebenden macht. In Glasgow wird der Gott der Liebe damit keinen Erfolg haben, regt sich die Dame mit schottisch gefärbtem Akzent auf: Hier sei es ja leider verboten, auf der Straße Waffen zu tragen.

 
Schnitt – schon folgt der nächste clip, die nächste Musikeinspielung, als zappte man selbst durch die Kanäle. Es macht den Reiz dieser unkommentierten Aneinanderreihung von Filmschnipseln aus, dass man nie genau weiß, ob es sich um found footage aus Kabelfernseh-Sendern oder Internet-Videoportalen handelt, oder ob Collins die Szenen selbst inszeniert hat. In seinem Werk kam immer beides vor: Fiktion und Realität. Aber wer kann das heute schon auseinanderhalten?

 

Ein Jahr in Glasgow verbracht

 
Dabei ist Collins‘ Film eine Hommage an die Stadt Glasgow, deren Kunsthochschule viele bekannte zeitgenössische Künstler hervorgebracht hat. Collins zählt nicht dazu; er tingelte von Manchester über London nach Belfast, studierte zunächst englische Literatur, unterrichtete dann Filmtheorie und performance und machte schließlich einen Master in bildender Kunst. Ein ganzes Jahr hat Collins für die Recherche und Dreharbeiten in Glasgow verbracht: Er begleitete ein junges Paar durch die Zeit seiner Schwangerschaft. Er versumpfte mit Stammgästen in Kneipen. Er tanzte in Diskotheken und beobachtete Elvis-Doubles.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Imagine waking up tomorrow and all music has disappeared" - hinreißendes Porträt des Musik-Querdenkers Bill Drummond von Stephan Schwietert

 

und hier einen Bericht über das Festival "Kino der Kunst 2015" - mit Film-Beiträgen von Phil Collins und anderen bildenden Künstlern.

 

So entstehen Alltags-Porträts: kollektive Miniaturen von Geburt, Jugend und Adoleszenz, Ausbildung und Ausbruch aus dem System, bis hin zur Gefängnishaft. In vielen Werken über Glasgow geht es um Armut, Gewalt und Drogenmissbrauch. Collins webt aber in seinen Film ein zärtliches Wohlwollen mit all seinen Kurzzeit-Protagonisten ein, das irgendwo zwischen Sozialrealismus und Sozialromantik schwingt.

 

In Berlin Gift ausschenken

 

Als roter Faden ziehen sich animierte Szenen durch den Film, die dem Zuschauer immer wieder in Erinnerung: Das ist keine Dokumentation, sondern eine künstlerische Komposition. Dazu tragen auch musikalische Einlagen bei, die von Laien gesungen werden. Diese Art von Karaoke hat Phil Collins bereits 2005 in seinem Projekt „The World Won’t Listen“ verwendet: Darin versuchten sich Könner und Stümper an songs der Band „The Smiths“.

 
2006 war Phil Collins für den renommierten Turner Prize der „Tate Gallery“ nominiert; gewonnen hat er ihn nicht. Seit 2011 betreibt Collins eine Bar; in Berlin natürlich. Sie heißt „Das Gift“, weil hier solches poison ausgeschenkt wird, mit dem in englischen pubs die working class ihren Arbeitsalltag vergessen will: schottischer whisky und englisches ale. In Collins‘ nächstem Film würde man sich seine Perspektive auf die Stadt Berlin wünschen.