Kleiner Mann, was nun? Thierry Taugourdeau (Vincent Landon) hat es schwer: Der 51-jährige Maschinist ist seit 20 Monaten arbeitslos. Er streitet mit einem Arbeitsamt-Berater über den Zweck einer Umschulung zum Kranführer, die ihm keine Anstellung einbringt. Er beteiligt sich nicht an Protesten gegen seine Ex-Firma, die ihre Produktion ins Ausland verlagert, weil er mit ihr abschließen will.
Info
Der Wert des Menschen –
La Loi du Marché
Regie: Stéphane Brizé,
90 Min., Frankreich 2015;
mit: Vincent Lindon, Karine de Mirbeck, Matthieu Schaller
Kassiererinnen auf Rabattmarken filzen
Er nimmt an einem Bewerber-Training teil; dort wird ihm empfohlen, energischer aufzutreten. Plötzlich hat Thierry einen Job als Supermarkt-Detektiv; wie er ihn bekommen hat, bleibt offen. Seine neuen Kollegen weisen ihn ausführlich ein, wie man Überwachungs-Kameras bedient und verdächtige Kunden an ihren Verhaltensmustern erkennt. Oft muss er jedoch die Kassiererinnen filzen, weil sie Rabattmarken oder Bonuspunkte unterschlagen haben – was für die Beteiligten genauso tragisch endet wie für den Film.
Offizieller Filmtrailer OmU
Anstrengender Etikettenschwindel
All das zeigt Regisseur Stéphane Brizé in ungeschnittenen, quälend langatmigen Szenen ohne Vorinformationen oder Kontext. Meist verweilt die Kamera-Einstellung auf dem Gesicht, gerne auch im Nacken, von Charakterdarsteller Vincent Landon; er wurde für diese one man show beim Festival in Cannes als bester Schauspieler ausgezeichnet. Seine Gesprächspartner sind selten zu sehen – und wenn, erschließt sich nur allmählich, was sie von ihm wollen und warum.
Diese Bildsprache entstammt der Dokumentarfilm-Schule des cinema vérité oder direct cinema der 1960/70er Jahre; ihre Vertreter beanspruchen, Wirklichkeit unmittelbar abzubilden. Regisseur Brizé inszeniert mit lauter Laien außer Landon einen Spielfilm, suggeriert aber, er führe die heutige Realität prekärer Arbeitsverhältnisse ungeschminkt vor. Ein Etikettenschwindel, der seinen Film nicht authentischer macht, nur anstrengender.
Karger Betroffenheits-Kitsch
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films „Zwei Tage, Eine Nacht“ - Sozialdrama über drohenden Jobverlust von Jean-Pierre + Luc Dardenne mit Marion Cotillard
und hier einen Bericht über den Film “Mein Stück vom Kuchen” – originelle Arbeitslosen-Tragikomödie von Cédric Klapisch
und hier einen kultiversum-Beitrag über den Film „Mademoiselle Chambon“ – subtiles Seitensprung-Kammerspiel von Stephane Brizé mit Sandrine Kiberlain + Vincent Landon.
Damit bebildert er das Elend einer Kapitalismus-Kritik, die auf jeden theoretischen Überbau verzichtet: Aus der Ameisen-Perspektive der Benachteiligten kann sie nur ihr hartes Los und die Ungerechtigkeit der Welt beklagen, ohne irgendwelche Zusammenhänge oder Veränderungs-Potential aufzuzeigen – eine karge Variante von Betroffenheits-Kitsch.
Beziehungs-Studien sind besser
Alle sind nur bemitleidenswerte Rädchen im Getriebe, das von amoralischen Mächten gesteuert wird; wer nicht mitspielt, geht hohe Risiken ein. So weit, so banal: Über „das Gesetz des Marktes“ im französischen Originaltitel oder gar den „Wert des Menschen“ erfährt man hier nichts.
Regisseur Brizé hat bislang vor allem subtile Beziehungs-Studien gedreht; etwa „Man muss mich nicht lieben“ (2005) über einen Gerichtsvollzieher, der sich in eine Tanzschülerin verguckt. Oder „Mademoiselle Chambon“ (2009) ebenfalls mit Vincent Landon; da geht er mit Sandrine Kiberlain als Aushilfs-Lehrerin fremd. Doch zu ökonomischer Abhängigkeit und Ausbeutung hat Brizé wenig zu sagen, weil dafür mikroskopische Beobachtung des Privaten nicht ausreicht.