
Seit seinem ersten Film „Der olympische Sommer“ (1993) über ein fiktives Liebespaar während der Olympiade 1936 in Berlin ist Regisseur Gordian Maugg ein Spezialist für die Verquickung von zeitgeschichtlicher Doku-Aufnahmen mit einer fiktionalen Handlung. Was bei seinem Debüt gut funktionierte, wirkt nun bei „Fritz Lang“ eher fragwürdig.
Info
Fritz Lang
Regie: Gordian Maugg,
104 Min., Deutschland 2015;
mit: Heino Ferch, Thomas Thieme, Samuel Finzi
„The Jazz Singer“ läutet Tonfilm ein
Zwar versprach der Nachfolger „Frau im Mond“ (1929) ein kommerzieller Erfolg zu werden. Doch Lang hatte abermals einen Stummfilm gedreht, obwohl bereits 1927 „The Jazz Singer“ das Tonfilm-Zeitalter eingeläutet hatte. Konkurrenten wie sein österreichischer Landsmann G.W. Pabst wandten sich der neuen Technik zu. Lang steckte in einer Schaffenskrise; er drohte den Anschluss zu verlieren.
Offizieller Filmtrailer
Samuel Finzi als Vampir von Düsseldorf
Da stößt der eifrige Leser 1930 in der Zeitung auf den Fall des „Vampirs von Düsseldorf“: Der brutale Kinder- und Frauenmörder trinkt das Blut seiner Opfer. Einen geeigneten Stoff für seinen ersten Tonfilm witternd, reist Lang (Heino Ferch) – zumindest in Mauggs Film – an den Rhein, um die Suche nach dem Kriminellen zu verfolgen.
In Düsseldorf begleitet Lang die Ermittlungen des ebenfalls aus Berlin angereisten Kriminalrats Gennat (Thomas Thieme). Das gesuchte Monster stellt sich schließlich als ein freundlicher Herr namens Peter Kürten (Samuel Finzi) heraus. Gennat erteilt Lang die Erlaubnis, Kürten in der Haft zu interviewen, um zu verstehen, was in dessen Kopf vor sich geht. Dabei steigen bei Lang unschöne Erinnerungen hoch.
Sechstbester Film aller Zeiten
Der Rest ist Kino-Historie: Lang dreht „M – Eine Stadt sucht einen Mörder“. Der Kriminalfilm feiert drei Wochen nach Kürtens Verurteilung zum Tode Premiere. Ein künstlerischer Triumph: Lang demonstriert, dass er die neuen Möglichkeiten des Tonfilms bestens verstanden hat. Die beeindruckende performance von Hauptdarsteller Peter Lorre hat mehr als 80 Jahre später an Eindringlichkeit nicht verloren.
Bis heute gilt „M“ als einer der Höhepunkte des deutschen Films; das französische Fachblatt Cahiers du Cinéma listet ihn als sechstbesten Film aller Zeiten auf. Damit sollte Lang – der laut Kollege Volker Schlöndorff „alle Film-Genres erfunden hat” – das Strickmuster von Serienmörder-Psychothrillern begründen.
Aristokrat kokst + hurt inbrünstig
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "The Forbidden Room" - Remake-Potpourri aus Fake-Stummfilmen von Guy Maddin
und hier einen Beitrag über den Film "Von Caligari zu Hitler – Das deutsche Kino im Zeitalter der Massen" - Essay-Film über Stummfilm-Klassiker der 1920er Jahre von Rüdiger Suchsland.
und hier einen Bericht über die Ausstellung “Am Set: Paris – Babelsberg – Hollywood” über Standfotografie bei Stummfilm-Dreharbeiten wie zu "Metropolis" von Fritz Lang in der Deutschen Kinemathek, Berlin.
Doch Mauggs Inszenierungskonzept will nicht aufgehen: Technisch virtuos, aber ohne erkennbaren Sinn verwirbelt der Regisseur Archiv-Material, erfundene Spielszenen und Ausschnitte aus Langs Original-Filmen – vor allem natürlich „M“ – zu einem höchst suggestiven Brei mit seltsam fadem Aroma.
Fantasie-Konstrukt im Doku-look
So schleicht sein Lang, noch bevor er mit Ermittler Gennat gesprochen hat, auf dem Düsseldorfer Polizeirevier herum, belauscht durch die offene Tür eine Vernehmung und begutachtet anschließend im Nebenraum die Fotos der Opfer von Kürten. Solche Kolportage-Szenen sind unschwer als reine Fantasie-Konstrukte zu erkennen.
Doch zugleich verleiht Maugg dem Film einen möglichst starken dokumentarischen Anstrich: mit Schwarzweiß-Bildern im alten 4:3-Format und einer Inszenierung, die leicht angestaubt wirkt. Für ein biopic ist „Fritz Lang“ zu spröde, für einen Dokumentarfilm zu diffus. Manche Momente, etwa die Konfrontation von Lang und Kürten im Gefängnis, sind durchaus fesselnd. Am Ende bleibt aber das schale Gefühl zurück, kaum mehr zu wissen als zuvor.