
Hierzulande gilt der Impressionismus vor allem als französisch-deutsche Kunstrichtung. Dabei wird oft übersehen, dass überall in Europa um 1900 Maler den neuen Stil begeistert aufgriffen und abwandelten. Schon Giovanni Segantini, der in Italien und der Schweiz als moderner Klassiker verehrt wird, kennt man nördlich der Alpen kaum. Und Joaquín Sorolla (1863-1923) gar nicht – er ist in Spanien einer der populärsten Künstler überhaupt: Als ihm der Madrider Prado 2009 eine Retrospektive ausrichtete, strömten mehr Schaulustige dorthin als je zuvor.
Info
Joaquín Sorolla - Spaniens Meister des Lichts
04.03.2016 - 03.07.2016
täglich außer montags
10 bis 20 Uhr
in der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung, Theatinerstr. 8, München
Katalog 29 €
Import von Leihgaben + Hymnen
Insofern ist diese Ausstellung eine echte Wiederentdeckung. Sie zeigt erstmals einen Querschnitt des Gesamtwerks mit 65 Gemälden und rund 50 Ölskizzen – die meisten kommen aus dem Museum Sorolla in Madrid. Mit diesen Leihgaben hat die Hypo-Kunsthalle aber auch die dortige Verehrung des Künstlers importiert: Wandtafeln und Katalog schlagen einen hymnisch schwärmenden Tonfall an, der hierzulande eher unüblich ist.
Feature über die Ausstellung; © BR
Lobhudelei für spanische fans
Da wird akribisch aufgelistet, welche Werke anderer Maler Sorolla wann und wo gesehen hat, was er von ihnen übernahm und für welche seiner Gemälde er hoch dotierte Preise und Auszeichnungen erhielt – mit stets demselben Fazit: dass er alle seine Zeitgenossen an Kreativität, Originalität und Können überflügelte. Solche lobhudelnde Faktenhuberei mag seine spanischen fans entzücken; dieser Schau für ein Publikum, dem er bislang fremd ist, hätte etwas nüchterne Distanz gut getan.
Genau genommen war Sorolla gar kein Impressionist. Er selbst verstand sich als Naturalist, der das Dasein einfacher Leute im Bild festhielt, um ihr hartes Los vor Augen zu führen. Freunde von ihm forderten als republikanisch gesinnte Intellektuelle politische und soziale Reformen – besonders nach 1898, als Spanien im Krieg gegen die USA seine letzten Kolonien verloren hatte: Kuba, Puerto Rico und die Philippinen.
Gemälde wie salzige Seeluft
Zugleich suchte der aus bescheidenden Verhältnissen stammende Sorolla den Erfolg um jeden Preis. Mit 25 Jahren heiratete er seine Jugendliebe Clotilde; das Paar bekam drei Kinder. Fortan drehte sich sein Leben nur noch um Familiensinn und Arbeit. Er schickte seine Bilder systematisch zu wichtigen Gruppen-Ausstellungen im Ausland, um europaweit bekannt zu werden. Und er reiste regelmäßig nach Paris, damals das Zentrum der Kunstwelt, um neue Strömungen kennen zu lernen und das aktuelle Schaffen seiner Kollegen zu studieren.
Mitte der 1890er Jahre fand er sein Lieblingssujet: Spaniens Küste. Zuvor hatte er an Velázquez geschulte Alltagsszenen in dunklen Tönen gemalt; brillant ausgeführt, doch in der Farbgebung konventionell. Nun hellte sich seine Palette auf. Das Zusammenspiel von Sonne, Wind und Wellen, gleißende Helligkeit, auf dem Meer tanzende Lichtreflexe und sprühende Gischt übertrug kein Maler so frisch und naturgetreu auf die Leinwand wie Sorolla: Beim Anschauen glaubt man, salzige Seeluft zu schnuppern.
Aus der Arbeitswelt an den Strand
Werke wie „Die Rückkehr vom Fischfang“ (1894) brachten ihm den Durchbruch. Sein neues, leuchtendes Kolorit erlaubte ihm auch kühne Kompositionen wie „Das Nähen des Segels“ (1896). Im Zentrum liegen weiße Stoffmassen; ausgebreitet sorgen sie für räumliche Tiefe, rhythmisch belebt durch unzählige Lichtflecken – das beeindruckte alle Betrachter tief.
Allmählich löste sich Sorolla vom Themenkreis der Arbeitswelt. Er verlegte sich auf idyllisches Strandleben: im Wasser planschende und schwimmende Kinder, gehütet von ihren Müttern und Gouvernanten, deren Kleider sich im Wind bauschen. Alles Motive, bei denen er seine technische Virtuosität ausreizen konnte – aber auf Dauer etwas beliebig und banal.
Hofmaler der spanischen bourgeoisie
Er wurde quasi zum Erfinder des gemalten Ferien-Schnappschusses, bevor Urlauber dafür zum Fotoapparat griffen. Wobei Sorolla der neuen Technik aufgeschlossen gegenüber stand: Sein Gemälde „Momentaufnahme. Biarritz“ von 1906 lässt sie schon im Titel anklingen – und zeigt seine Gattin in den Dünen des baskischen Seebads, während sie mit einer Kamera hantiert.
Derlei gefielt dem zahlungskräftigen Bürgertum. Sorolla wurde viel gefragter Porträtist der besseren Kreise; eine Art Hofmaler der spanischen bourgeoisie in der belle epoque. Um sein Pensum zu erledigen, eignete er sich Mitte der 1900er Jahre eine schnellere und lockerere Malweise an, die dem Impressionismus nahe kam – ohne auf Konturen oder Schwarz zu verzichten.
Folklore-Edelkitsch in Serie
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Giovanni Segantini – Magie des Lichts" - Doku über den Impressionisten des Hochgebirges von Christian Labhart
und hier einen Beitrag über die Ausstellung "Monet und die Geburt des Impressionismus" im Städel Museum, Frankfurt/ Main
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Pissarro – Der Vater des Impressionismus" – Retrospektive im Von der Heydt-Museum, Wuppertal
sowie hier eine Besprechung der Ausstellung “Reiselust und Sinnesfreude” mit Werken deutscher Impressionisten in Apolda und Aschaffenburg.
1911 zog er nach einer US-Tournee seinen lukrativsten Großauftrag an Land: Die „Hispanic Society of America“ in New York bestellte einen Bilder-Zyklus über die Regionen Spaniens und Portugals. An der Serie „Visión de España“ arbeitete er sieben Jahre lang. Dabei wurde er endgültig zum Serienhersteller von Edelkitsch: mit überlebensgroßen Folklore-Figuren in malerischen Trachten vor lieblichen Landschaften. 1920 erlitt er einen Schlaganfall, drei Jahre später starb er.
Perfekte Frühlings- + Sommerschau
Seine erste deutsche Werkschau besticht durch perfektes timing: Sorollas funkelnde Gemälde von üppiger Natur und Sonnenbädern in allen Variationen stimmen perfekt auf die Frühlings- und Sommerzeit ein. Dabei kommt sein sozialkritisches Frühwerk zu kurz – kein Wunder: Poster und Postkarten mit Gartenkunst und Badespaß verkaufen sich besser als Elendsgestalten. Vielleicht stimmen die Münchener unisono in spanische Jubelarien mit ein, und die Hypo-Kunsthalle freut sich wie zuvor der Prado über einen neuen Besucherrekord.