Kann ein Ausstellungs-Auftakt verstörender sein? Wer zurzeit das Landesmuseum für Vorgeschichte in Halle besucht, blickt als erstes auf eine Wand aus Menschenknochen: die Gebeine von 47 gefallenen Soldaten, die nach der Schlacht von Lützen verscharrt worden waren. Das Massengrab wurde mithilfe einer so genannten Blockbergung gesichert – hochkant gestellt, lässt es sich nun komplett betrachten.
Info
Krieg - eine archäologische Spurensuche
06.11.2015 - 22.05.2016
täglich außer montags
9 bis 17 Uhr,
am Wochenende
10 bis 18 Uhr
im Landesmuseum für Vorgeschichte, Richard-Wagner-Str.9, Halle/ Saale
Katalog 39,95 €
Weltgrößtes untersuchtes Schlachtfeld
In dieser blutgetränkten Erde müssten sich zahlreiche Gräber finden lassen, sollte man annehmen. Weit gefehlt: Fast alle wurden in den folgenden Jahrhunderten durch Feldarbeit zerstört und die Knochen untergepflügt. Ab 2008 durchkämmten Mitarbeiter des Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie in Sachsen-Anhalt mehr als 110 Hektar – das bisher größte systematisch untersuchte Schlachtfeld weltweit. Nach drei Jahren wurden sie fündig; ihre Entdeckung ist einzigartig in Europa.
Interview mit Kuratorin Bettina Stoll-Tucker + Impressionen der Ausstellung
Des Königs Reitjacke samt Einschussloch
Nun präsentiert diese Ausstellung eine beeindruckende Fülle an Schlüssen, die sich aus diesem Fund mit Methoden moderner Schlachten-Archäologie ziehen lassen. Die Gefallenen waren einfache Soldaten zwischen 15 und 50 Jahren. Nach dem Gemetzel hatten örtliche Bauern die Toten beseitigt: Sie nahmen ihnen Wertsachen, Kleidung und Schuhe ab, bevor sie die Leichen nackt in eine eilends ausgehobene Grube warfen. Vorerkrankungen, Ernährungsweise, selbst die Herkunft der Söldner lässt sich rekonstruieren; sie kamen aus halb Europa. Und ihre Todesart: Die meisten wurden von hinten erschossen.
Diese detaillierten Befunde fallen recht technisch aus; anschaulicher sind Leihgaben zum Kontext der Schlacht. Ihr prominentestes Opfer war Schwedenkönig Gustav Adolf; in der Schau wird seine aus Elchenleder gefertigte Reitjacke samt Einschussloch gezeigt. Den so genannten Koller hatten Feinde dem Leichnam gestohlen und als Kriegstrophäe dem Habsburger Kaiser Ferdinand II. zukommen lassen; heute verwahrt ihn die Königliche Rüstkammer in Stockholm.
Mörderischster Krieg in Deutschland
Für General Wallenstein steht sein Lieblingspferd „Amore Mio“; das lebensgroße Tierpräparat ist erstmals außerhalb des Museums im böhmischen Cheb (Eger) zu sehen. Dagegen verdeutlicht eine Installation mit alles zerfetzender Kanonenkugel, wie extrem brutal beide Kriegsparteien agierten: Im Mai 1631 wurde Magdeburg vier Tage lang von kaiserlichen Truppen unter General Tilly verwüstet. Sie schlachteten 20.000 Menschen ab; das waren fast zwei Drittel aller Einwohner.
Insgesamt starben während des Dreißigjährigen Krieges 40 Prozent der Bevölkerung im Reichsgebiet, in manchen Landstrichen bis zu 70 Prozent: Es war der mörderischste Krieg, den Deutschland je durchlitten hat. Um sich von diesen Verheerungen zu erholen, benötigten etliche Regionen mehr als ein Jahrhundert.
Kein Krieg ohne Distanzwaffen
Wie kommt es zu solchen Orgien der (Selbst-)Zerstörung? Dieser Frage geht der zweite Teil auf den Grund: knapp und prägnant in der Ausstellung, mit enzyklopädischer Ausführlichkeit im reich bebilderten Katalog. Der älteste nachweisbare Mord geschah vor rund 430.000 Jahren in der Sierra de Atapuerca nahe der nordspanischen Stadt Burgos: Dort grub man den Schädel eines etwa 20-jährigen Mannes aus, der zwei Mal mit demselben Gegenstand eingeschlagen worden war.
Doch solche Gewaltakte sind individuelle Taten, keine Kriege; ebenso Zweikämpfe mit Keulen oder Schwertern. Die Kuratoren definieren Krieg als „geplante und organisierte bewaffnete Auseinandersetzung zwischen autonomen Gruppen“ – sie benutzten dafür Distanzwaffen wie Speere oder Pfeil und Bogen. Diese tauchten erstmals vor rund 10.000 Jahren in der neolithischen Revolution auf, als Menschen sesshaft wurden, um Ackerbau und Viehzucht zu betreiben. Dafür brauchten sie lokale Ressourcen wie fruchtbares Land, das sie gegen Eindringlinge verteidigen mussten; man konnte Konflikten nicht mehr ausweichen. Krieg ist also – so seltsam das klingen mag – eine kulturelle Errungenschaft.
Bronzezeit-Schlachtfeld 1996 gefunden
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung „1813 – Auf dem Schlachtfeld bei Leipzig“ zum 200. Jahrestag der Völkerschlacht im Deutschen Historischen Museum, Berlin
und hier einen Beitrag über die Ausstellung „Napoleon und Europa – Traum und Trauma“ in der Bundeskunsthalle, Bonn
und hier einen Beitrag zur Ausstellung „Die Kelten – Druiden. Fürsten. Krieger“ in der Völklinger Hütte, Völklingen.
Ein regelrechtes Schlachtfeld aus der Bronzezeit liegt im Tal des Flüsschens Tollense in Mecklenburg-Vorpommern; es wird in der Ausstellung dokumentiert. 1996 wurde zufällig ein Oberarmknochen mit Pfeilspitze gefunden; seit 2007 wird das Gelände systematisch untersucht. Hier fielen um 1250 v. Chr. etwa 2000 bis 6000 Kämpfer mit Pfeil und Bogen, Lanzen und Keulen übereinander her; wer sich bekriegte und warum, ist noch ungeklärt.
Erster Friedensvertrag vor 3300 Jahren
Gottlob kündet die Ausstellung nicht nur von Tod und Verderben: Das wohl schönste Exponat ist der Nachbau eines leichten Streitwagens, wie er im antiken Ägypten in Gebrauch war. Er steht für einen positiven Durchbruch in der Kriegsgeschichte: Die Schlacht von Kadesch 1274 v. Chr. in West-Syrien zwischen Ägyptern und Hethitern ging unentschieden aus. Daraufhin schlossen Pharao Ramses II. und sein Gegenspieler Hattušili III. nach jahrelangen Verhandlungen den ältesten bekannten Friedensvertrag der Weltgeschichte: Auch diese segensreiche Einrichtung ist schon fast 3300 Jahre alt.