„Ich wollte lieber ein Bild machen, als eines zu sein“, soll die junge Elizabeth „Lee“ Miller (1907-1977) gesagt haben, als sie 1929 ihren Abschied als model vom amerikanischen Mode-Magazin „Vogue“ nahm, um nach Paris zu ziehen. Künftig sollte sie beides werden: ein Fotomodell, das sich selbst inszeniert, und eine originelle Fotografin. Dieses Bewusstsein von beiden Seiten – vor und hinter der Kamera – einer gelungenen Komposition zieht sich durch ihr Werk; das führt die ihr gewidmete Retrospektive im Martin-Gropius-Bau deutlich vor.
Info
Lee Miller – Fotografien
19.03.2016 - 12.06.2016
täglich außer dienstags
10 bis 19 Uhr
im Martin-Gropius-Bau, Niederkirchnerstraße 7, Berlin
Katalog 25 €
Brust auf Teller, Kopf unter Glassturz
Bereits 1929, im ersten Jahr ihrer fotografischen Lehrzeit bei ihrem Geliebten Man Ray, macht sie die bemerkenswerte Aufnahme „Amputierte Brust – auf einem Teller angerichtet“. Sie stellt genau das dar: eine im Hospital amputierte Frauenbrust, die Miller wie ein Gericht auf einem Essteller präsentiert. „Tanja Ramm unter einem Glassturz“ zeigt einen Frauenkopf mit weit aufgerissenen Augen – unter einem Glassturz konserviert.
Impressionen der Ausstellung – NB: Aus urheberrechtlichen Gründen waren nur wenige Nahaufnahmen erlaubt
Männerfantasie führt Eigenleben
Auch vor der Kamera will Miller kein passives mannequin bleiben. Dabei nutzt sie die ästhetische und erotische Faszination, die ihre klassische blonde Schönheit vom Typ einer kurzhaarigen Diana bei den Surrealisten auslöste. Eine Fotografie von Man Ray, die er verworfen hatte, fischt sie wieder aus dem Papierkorb, bearbeitet sie und macht daraus mit verengtem Bildausschnitt das Bild „Neck“, das ihren Hals zeigt. Im Film „Le Sang d’un poète“ (1930) von Jean Cocteau spielt sie die erwachende Statue der Galatea: eine Männerfantasie, die plötzlich ein Eigenleben führt.
Berühmt wird Miller jedoch schließlich als Foto-Reporterin im Zweiten Weltkrieg. Sie hatte sich 1930 von Man Ray getrennt und in New York ein Fotostudio eröffnet. Nach ihrer Heirat lebte sie mit ihrem Mann kurzzeitig in Kairo und schoss dort Wüstenfotos, deren Leere auf mehreren Ebenen den Maler René Magritte beeindruckt und beeinflusst haben.
Leichenberge in Dachau + Buchenwald
Mit ihrem zweiten Ehemann Roger Penrose ließ sie sich schließlich in England nieder und machte ab 1940 Bildreportagen für die britische Ausgabe der „Vogue“; zunächst über Mode. Nachdem deutsche Luftangriffe zunehmend Kriegsschäden in London hinterlassen, lichtet sie ihre Modelle in Bombenruinen und Brandschutzmasken ab. An die Front darf sie als Frau nicht.
Das ändert sich, als die USA 1941 in den Krieg eintreten und sie als Foto-Reporterin in die Normandie geschickt wird. Ihre Bilder werden allerdings zensiert, da auf ihnen der Einsatz von Napalm zu sehen ist. Nicht zensiert werden die grausamen Bilder, die Lee Miller in den von den alliierten Truppen befreiten Konzentrationslagern Dachau und Buchenwald aufnimmt. Einige sind in der Ausstellung zu sehen: Leichenberge; die Augen ausgemergelter Häftlinge, die überlebt haben; verängstigte SS-Wachleute, die versucht haben, in Zivilkleidung zu entkommen.
Bebilderung der Banalität des Bösen
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension der Ausstellung "Germaine Krull – Fotografien" – Retrospektive im Martin-Gropius-Bau, Berlin
und hier eine Besprechung der Ausstellung "Gisèle Freund – Fotografische Szenen und Porträts“ – Retrospektive in der Akademie der Künste, Berlin
und hier einen Bericht über die Ausstellung "Margaret Bourke-White: Fotografien 1930 bis 1945“ im Martin-Gropius-Bau, Berlin.
Mit ihrer couragierten Arbeit, schonungslosen Beobachtung und trotzigen Badewannen-Inszenierung hat Lee Miller die „Banalität des Bösen“ anschaulich gemacht, die Hannah Arendt später beschreiben sollte. In ihren Foto-Erläuterungen, die sie ab 1943 selbst verfasste, formuliert sie mit eisigem Zorn: „So sind die Deutschen – mutig, unterwürfig, wohlgenährt. […] Keiner von ihnen, der nicht im Widerstand oder im Lager war, scheint zu meinen, Hitler habe etwas falsch gemacht, außer zu verlieren.“
Still werden wie Tiere + Vögel
Sie selbst scheint jedoch ein Kriegstrauma davongetragen zu haben, das es ihr unmöglich machte, weiter zu fotografieren. Ihrem Sohn Antony Penrose erzählte sie nicht von ihrer Arbeit; er fand ihr Foto-Archiv erst nach ihrem Tod. Doch laut Aussage eines Freundes hat sie mit diesem einmal über Dachau gesprochen: Alle Tiere und Vögel seien still geworden, als sie sich dem Lager näherten. Auch sie ist still geworden, als könnte es nach Dachau keine Bilder mehr geben.