Kulturell ist Kirgistan hierzulande praktisch terra incognita. Der in Westeuropa bekannteste Kirgise dürfte der Schriftsteller Tschingis Aitmatow sein, der 2008 starb. In vielen Erzählungen und Romane behandelte er die Schönheit seiner Heimat im mittelasiatischen Tianshan-Gebirge, die Naturverbundenheit seiner Landsleute und die Gefahren der technischen Zivilisation. Diese Themen greift der Film „Nomaden des Himmels“ auf ganz eigene Weise auf.
Info
Nomaden des Himmels
Regie: Mirlan Abdykalykov,
81 Min., Kirgistan 2015;
mit: Tabyldy Aktanov, Jibek Baktybekova, Taalaikan Abazova
Meteorologen sind Rumtreiber
Doch auch dieses abgelegene Tal bleibt von Neuerungen nicht verschont. Dort baut der Meteorologe Ermek (Jenish Kangeldiev) seine Messstation auf, womit er das Familiengefüge in Bewegung bringt. Die Großmutter sieht sich in ihrer Skepsis gegenüber der modernen Welt bestätigt: „Was ist das überhaupt für ein Beruf: das Wetter messen? Der Mann ist ein Rumtreiber. Dasjenige Wetter wird kommen, das Gott uns schickt.“
Offizieller Filmtrailer
Bei der Familie ewige Witwe bleiben
In seinem Debütfilm zeigt der erst 33-jährige Regisseur Mirlan Abdykalykov die Ambivalenz von traditioneller und moderner Lebensweise, ohne zu idealisieren oder zu verteufeln. Nomadisches Leben wirkt für zivilisationsmüde Augen zwar faszinierend, aber es ist auch hart: Die Menschen leben ohne Privatsphäre auf engstem Raum zusammen. Sie verlieren nicht viele Worte, da sie ohnehin alles voneinander wissen; dafür sind Blicke und Gesten umso vielsagender.
Um zu überleben, sind alle aufeinander angewiesen; individuelle Entscheidungen stehen hintan. Solange Shaiyr bei ihrer Familie bleibt, scheint sie zum ewigen Witwen-Dasein verdammt zu sein. Zugleich liebt sie das freie Leben in den Bergen: Wenn sie auf ihrem Pferd durch die majestätische Natur reitet, strahlt die junge Frau beeindruckende Lebensfreude und Selbstsicherheit aus. Sie ist eins mit sich und ihrer Umgebung.
Regenschirm als exotisches Spielzeug
Die Kamera bebildert die schlichte Handlung mit großartigen Landschafts-Panoramen und sorgfältig komponierten Nahaufnahmen. Viele ruhige Einstellungen zeigen alltägliche Szenen: Stuten melken, Feuer machen, Wasser holen oder Wolle spinnen. Außerdem werden mehrmals ausführlich Legenden erzählt; all das gibt dem Film einen ethnografischen Anstrich.
Hintergrund
Lesen Sie hier eine Rezension des Films "Der letzte Wolf" - Bestseller-Verfilmung aus der chinesischen Mongolei als Systemkritik im Wolfspelz von Jean-Jacques Annaud
und hier eine Besprechung des Films „Waiting for the Sea“ – Öko-Tragikomödie in Mittelasien von Bakhtiar Khudoijnazarov mit Detlev Buck
und hier einen kultiversum-Beitrag über den Film "Der Dieb des Lichts - Svet-Ake" - gelungene Tragikomödie aus Kirgisien von Aktan Arym Kubat.
Nomaden-Zukunft bleibt offen
Mit diesem Werk tritt Regisseur Abdykalykov in die Fußstapfen seines Vaters Aktan Arym Kubat. Dessen eigenes Debüt „Beshkempir“ von 1998 war der erste Spielfilm, der in Kirgistan nach dem Ende der Sowjetunion gedreht wurde. Darin wirkte sein Sohn Mirlan ebenso als Schauspieler mit wie in „Maimil“ (2001). Arym Kubats dritter Spielfilm „Der Dieb des Lichts – Svet-Ake“ kam 2011 in die deutschen Kinos; alle drei erzählen ländliche Geschichten.
Von den Schauspielern in „Nomaden des Himmels“ haben nur Schwiegertochter Shaiyr und ihr Großvater Kamera-Erfahrung; alle anderen Erwachsenen kommen vom Theater. Das merkt man ihnen in manchen Szenen an, doch ihre leicht theatralische Überdeutlichkeit stört nicht weiter. Wobei Regisseur Abdykalykov wohlweislich offen lässt, ob die nomadische Lebensweise in Kirgistan eine Zukunft hat – und wenn ja, welche.