Lutz Dammbeck

Overgames

Das Glücksrad dreht sich ohne Unterlass: Szenenbild aus einer US-Gameshow.Foto: © Overgames / Dammbeck Film
(Kinostart: 21.4.) The Show must go on: Essay-Filmer Lutz Dammbeck geht der Vermutung nach, dass die Konzepte für deutsche TV-Gameshows aus der US-Psychiatrie stammen – zur Umerziehung von Ex-Nazis. Klingt abseitig, wartet aber mit faszinierenden Details auf.

Let’s go crazy: Den Ausgangspunkt für den neuen Film des Künstlers und Regisseurs Lutz Dammbeck lieferte Ex-showmaster Joachim „Blacky“ Fuchsberger: In einem Ausschnitt aus einer TV-talkshow plaudert er mit Kollegen wie Rudi Carell, Frank Elstner und Hape Kerkeling. Fuchsberger erzählt, dass die Spielkonzepte seiner 1960 erstmals ausgestrahlten Fernseh-show „Nur nicht nervös werden“ aus der US-Psychiatrie kamen.

 

Info

 

Overgames

 

Regie: Lutz Dammbeck,

163 Min., Deutschland 2015

 

Website zum Film

 

Das löst bei den Kollegen Heiterkeit aus und führt dazu, dass „Blacky“ lachend von einem „Volk von Gestörten“ redet. Diese Äußerung weckte Dammbecks Interesse, denn er spekuliert in seinen Filmen gern ausgiebig über die Verbindungen zwischen Kunst und Macht. Auch in „Overgames“ sucht er nach Zusammenhängen zwischen Macht, Medien, Wissenschaft, Krieg und Spiel.

 

Reeducation für gute Nachbarschaft

 

Tatsächlich wurde Nachkriegsdeutschland von den westlichen Siegermächten als eine Art Patient betrachtet, der nach einer kollektiven Verirrung wieder auf rechten Weg der guten Nachbarschaft mit seinen künftigen Verbündeten gebracht werden sollte. Die Medizin zur Gesundung hieß reeducation: Überwindung des Nationalsozialismus durch demokratische Bildungsarbeit.

Offizieller Filmtrailer


 

Von Robespierre zu „Der Preis ist heiß“

 

Besteht also ein Zusammenhang zwischen den Spiel-shows des neuen Mediums Fernsehen und dem alliierten Umerziehungs-Programm? Dieser Frage geht Dammbeck nach, indem er in die Geschichte der philosophischen Aufklärung und der Psychiatrie zurückblickt. Er beleuchtet Gestalten wie Robespierre als Autor von revolutionären Theaterspielen nach 1789, die Ethnologin Margaret Mead, den Psychoanalytiker Erik Homburger Erikson und den Psychiater Richard M. Brickner, der sich 1943 in einem Buch fragte, ob „Deutschland unheilbar“ sei.

 

Nach dem amerikanischen TV-Produzenten Mark Goodson, der das Vorbild zu Fuchsbergers show erfand, landet man beim berüchtigten „Stanford Prison Experiment“ von 1971, bei dem die Simulation eines Gefängnisses rasch in Gewalt und Sadismus umschlug, und in der seltsamen Gegenwart von gameshows wie „Der Preis ist heiß“.

 

Ordentliche Theorie nur mit Archivarbeit

 

Dafür legt Dammbeck weite Strecken zurück: Er findet zahlreiche Archiv-Aufnahmen, reist durch die USA und spricht mit TV-Machern, Historikern und Wissenschaftlern. Er knüpft ein Netz aus Beziehungen von Spiel und Neurose, Medien und Politik, Revolution und Totalitarismus. Dabei stößt er auch auf ein paar Lieblings-Sündenböcke der aktuellen Renaissance von Verschwörungstheorien: zum Beispiel nach Amerika emigrierte Juden, Anhänger Siegmund Freuds und US-Freimaurer.

 

Doch Dammbeck gräbt tiefer als gewöhnliche Verschwörungstheoretiker, die ihr Pseudo-Geheimwissen gerne aus vorgekauten Internet-Dokumenten beziehen. Sein Essay-Film zeigt auch, dass es für eine ordentliche Theorie nicht ausreicht, websites zu überfliegen, sondern konkrete Dokumente studiert werden wollen: Zeitungsausschnitte, Bücher, Landkarten und Architekturpläne sind nicht einfach per Mausklick aufzurufen, sondern lagern in Archiven oder sind Privatbesitz.

 

TV-Legenden im Dienst der Aufklärung

 

So angenehm bedächtig wie Dammbecks Vorgehen ist auch seine Erzählweise: Sie erlaubt Abschweifungen und Rückgriffe, begleitet von wohltemperierter Musik und klug eingesetzter Kamera. Dabei kommt der Film ohne Animationen, re-enactments oder anderes modisches Füllmaterial aus. Zwischendurch verlesene Texte, etwa von Franz Kafka und Günther Anders, öffnen wirkungsvoll Assoziationsräume, statt den Blick zu verengen.

 

Hintergrund

 

Lesen Sie hier eine Rezension der Doku "The Forecaster" - Porträt eines Börsencrash-Propheten von Marcus Vetter

 

und hier einen Bericht über den Film „Side Effects“  – spannender Psychiatrie-Thriller mit Jude Law von Steven Soderbergh

 

und hier einen Beitrag über den Essay-Film „Global Viral – Die Virus-Metapher“ von Madeleine Dewald + Oliver Lammert über die Allgegenwart von Viren.

 

Vordergründig geht es dem Regisseur um die Frage, ob Fuchsberger aus den USA absichtlich mit Therapie-Spielen für eine gestörte Nation versorgt wurde – ob also, überspitzt gesagt, all die TV-Legenden der goldenen Ära des Familienfernsehens von Hans-Joachim Kulenkampff bis Hans Rosenthal im Auftrag der reeducation auftraten. Dahinter macht Dammbeck eine Tradition der bürgerlichen Zeitalters aus: die Idee der stetigen Verbesserung des Menschen und seiner Lebensumstände mit den Werkzeugen der Aufklärung.

 

Kompensation für Benachteiligte

 

Mit faszinierenden Details aus Psychiatrie, Ethnologie und nicht zuletzt TV-Unterhaltung flicht der Regisseur ein langes, gewundenes Band aus Hypothesen und Argumenten, das zweieinhalb Stunden zu fesseln weiß. Obwohl am Ende eine Enttäuschung steht: Die TV-Profis, die Dammbeck mit dem Fuchsberger-Zitat konfrontiert, haben von einer Verbindung zwischen Fernsehen und reeducation nie gehört und können es sich auch nicht vorstellen.

 

Stattdessen legt der Film zum Schluss nahe, dass gameshows ihr therapeutisches Potential durchaus ausspielen. Nur handelt es sich in der Gegenwart weniger um Spiele wie in den Theorien von Mead und Erikson, die Krankheiten Raum und Form geben, um sichtbar und damit heilbar zu werden. Sondern eher um Kompensationsangebote für vom Wohlstand ausgeschlossene Schichten, die materielle Sehnsüchte am Köcheln halten und Schadenfreude über die öffentliche Erniedrigung Anderer anstacheln. Das ist einigermaßen ernüchternd, aber sicher nicht das Ende der showbiz-Geschichte.